Die andere Hand

Wort zum Sonntag

Wenn ein Staat mit einem anderen Staat diplomatische Beziehungen aufnimmt, sendet das Staatsoberhaupt einen Botschafter in das betreffende Land. Dieser Botschafter überreicht dem Oberhaupt dieses anderen Staates ein Beglaubigungsschreiben, mit dem er seine rechtmäßige Sendung ausweist. Dieses Beglaubigungsschreiben trägt, damit man seine Echtheit erkennt, Unterschrift und Siegel des eigenen Staatsoberhauptes. So ist es Gepflogenheit zwischen allen Staaten. 

Aber nicht bloß auf der horizontalen Ebene, das heißt, in den zwischenstaatlichen Beziehungen der Völker ist es so, sondern auch auf der vertikalen Ebene zwischen Gott und der Menschheit. Auch Gott sendet seine Boten zu den Menschen, die ihnen seinen Willen kundtun. Er rüstet sie ebenfalls mit einem Beglaubigungsschreiben aus. Aber in welcher Sprache, mit welchen Schriftzeichen muss es verfasst sein, damit es die Menschen aller Zeiten, Zonen und Zungen auch lesen können, sowohl die Gelehrten als auch die Ungelehrten? Wahrlich, eine Preisfrage, deren Lösung den Nobelpreis verdient. Gott löst diese Aufgabe spielend leicht. Er weist seine Boten durch Wunder aus. So geschah es mit Moses, Elias und anderen Gottesboten. Der größte, alle überragende Sendbote Gottes ist sein Sohn, Jesus Christus. Seine Sendung hat Gott ganz besonders durch Wunder bestätigt. Christus berief sich auch öfter auf die von Ihm gewirkten Wunder als Beglaubigungsschreiben seiner Sendung: „Glaubt wenigstens den Werken, wenn ihr mir nicht glaubt. Dann werdet ihr erkennen und einsehen, dass in mir der Vater ist und ich im Vater bin!“

Ein solches Wunder geschah am See von Genezareth. Christus sagt zu den Jüngern: „Fahrt hinaus auf den See und werft eure Netze zum Fange aus!“ Petrus ist ein erfahrener Fischer und sagt: „Die ganze Nacht waren wir auf Fischfang und haben nichts gefangen!“ Umso mehr musste die Tagfischerei erfahrungsgemäß mit einem Fehlschlag enden. Es kam aber ganz anders. Sie fingen so viele Fische wie nie zuvor. Da konnte es bei diesen Berufsfischern nur eine Reaktion geben: Maßloses Staunen und Wundern! Das Wunder war geschehen. Petrus begriff sofort die Tragweite dieses Geschehens und sprach die ergreifenden Worte: „Herr, geh’ weg von mir, ich bin nur ein Sünder!“ Er sah und fühlte: Hier hat Gott seine Hand im Spiel. Hier ist Gott! Und Gottes Gegenwart erfüllt den Menschen, wenn er sie erfährt, stets mit heiligem Schauer.

Was halten wir von dem Beglaubigungsschreiben Christi, vom Wunder? In einer Herrengesellschaft ging es in der Unterhaltung darum, was man heute als „moderner Mensch“ noch glauben kann. Der Radikalste, ein alter Sanitätsrat, sagte pathetisch: „Der ganze Wunderglaube, wie er von Christus gefordert wird, kann vor der modernen Wissenschaft nicht mehr bestehen.“ Alle stimmten ihm zu, nur einer fragte: „Wissen Sie, was das Verwunderlichste am Wunder ist?“ Dann führte er ein Experiment vor, um zu zeigen, was er damit sagen wollte. Er nahm ein Lineal und fragte, was geschehen werde, wenn er es auslasse. „Es fällt zu Boden“, war die einstimmige Antwort. Er ließ es fallen, fing es mit der anderen Hand wieder auf. Dann sagte er: „Sehen Sie, jetzt habe ich Ihnen ein Wunder vorgeführt. Entgegen Ihrer berechtigten Erwartung ist das Lineal nicht zu Boden gefallen.“ Voll Zorn platzte der Sanitätsrat los: „Ihre andere Hand hat doch einfach das Lineal aufgefangen!“ Da sagte der andere Mann: „Das ist es ja gerade, dass beim Wunder eine andere Hand eingreift und etwas vollbringt, was unserem Verstand als unmöglich erscheint. In meinem kleinen Experiment sahen Sie diese ‘andere Hand’, bei den biblischen Wundern sahen Sie sie nicht – das ist der ganze Unterschied. Ich gehöre zu den Menschen, die in ihrem Leben schon tausendfach die ‘andere Hand’ gespürt haben, die täglich ungezählte Wunder vollbringt.“

Haben wir diese „andere Hand“ noch nicht gespürt? Wenn du ein Bittgebet zu Gott empor schickst, was erwartest du davon? Doch dies, wo alles eigene Können und Vermögen versagt, dass Gottes Hand in dein Leben eingreife und die Dinge, entgegen deiner Befürchtungen, so gestalte, dass alles zu deinem Besten ausgehe. Du bittest also um ein Wunder. Gottes unsichtbare Hand soll eingreifen, wo alle sichtbaren Mittel nicht mehr helfen können. Würde alles auf Erden nur nach unabänderlichen Gesetzen ablaufen, so hätte dein Gebet überhaupt keinen Sinn.

Gott hat Christus, seinen Sendboten, durch Wunder bestätigt. Seine Hand, diese „unsichtbare Hand“ greift auch in die Geschicke unseres Lebens ein. Legen wir vertrauensvoll unser Sein und Leben in diese „andere Hand“!