Florale Ornamente und fließende Strukturen

Auf den Spuren des Art nouveau in Temeswar

Das Miksa-Steiner-Palais am Domplatz erinnert an die Meisterwerke des spanischen Architekten Antoni Gaudi.

Das „Haus mit den Pfauen“ oder das „Romulus Nicolin“-Haus am Plevnei-Platz ziert ein typisches Art-Nouveau-Element: der Baum des Lebens.

Ein Kunstwerk des Art nouveau ist das Miksa-Steiner-Palais in der Fabrikstadt, aus dessen Vorderfront ein Schiffsbug herausragt (links oben).

Ein paar beherzte Architekten aus Temeswar riefen im vergangenen Jahr die Architekturführungen ins Leben.
Fotos: die Verfasserin

30 Augenpaare blicken gespannt zum Stadtführer hin. Es ist der Architekt Victor Popovici, der den Teilnehmern an der Führung die repräsentativsten Art-nouveau-Bauten der Stadt Temeswar/Timişoara näher bringen möchte. Zum Welttag des Art nouveau am 10. Juni soll gerade dieser Kunstrichtung ein besonderes Augenmerk geschenkt werden. Die Stadtführung ist kostenlos und wird über das Projekt „Tur de arhitectură“ (auf Deutsch: Architekturführung) organisiert. Interessierte Personen konnten sich über das Sozialnetzwerk Facebook für die Stadtführung anmelden.

Der Anfang des 20. Jahrhunderts bedeutete einen Neuanfang für Kunst und Architektur in Europa. Um das Jahr 1900 wurde die kunstgeschichtliche Epoche des Art nouveau ins Leben gerufen. Die Bewegung begann in Belgien und griff rasch auf den gesamten europäischen Kontinent über. Die Epoche trug unterschiedliche Namen in Europa: In Deutschland war es der Jugendstil, in Italien der Stile floreale, in Österreich sprach man von der Wiener Sezession und in Ungarn war es die Szecesszió; Modern Style hieß die Bewegung in England und Arte Moderniste in Spanien (ein bekannter Vertreter ist der berühmte Architekt Antoni Gaudi). Der Art nouveau sollte mit der klassizistischen Tradition brechen. Ihm zugrunde liegen fließende Strukturen, florale Ornamente und luxuriöse Dekorationen, inspiriert aus der Natur. Der wohl dekorativste Stil kam nach 1900 auch nach Temeswar. Bei jenen, die den Art nouveau in Temeswar umsetzten, handelte es sich entweder um ungarische oder österreichische Architekten. Der in Temeswar anzutreffende Stil ist also der Wiener Sezession oder dem ungarischen Szecesszió zuzuordnen, wobei die Architekten den Bauten ihre persönliche Note verliehen haben.

Die Art-nouveau-Führung beginnt am Volkspark in der Temeswarer Fabrikstadt. Entlang des Boulevard des 3. August 1919 erheben sich einige der ältesten und bedeutendsten Art-nouveau-Gebäude in der Stadt. Das Miksa-Steiner-Palais, gebaut 1901-1902, gehörte einst dem Unternehmer Miksa (Max) Steiner, dem Besitzer einer Chemikalienfabrik an der Busiascher Straße. Die Vorderfront ist ein Kunstwerk des Art nouveau. Das massive Tor mit Verzierungen aus Schmiedeeisen, die Frauenköpfe aus Stein, der Turm an der Ecke des Gebäudes und der Schiffsbug, der aus der Front ragt, sind nur einige Details, die sofort auffallen. Nicht umsonst wurde der Schiffsbug als Dekorationselement gewählt: In der Nähe des denkmalgeschützten Gebäudes floss zur damaligen Zeit ein Arm der Bega.

Es folgt das Haymann-Palais, 1900-1901 errichtet, eines der modernsten Gebäude seiner Zeit. Die Blumenverzierungen, geflügelten Frauen und vergoldeten Harfen sind ein Blickfang. Das Anheuer-Palais wurde zwar etwa in derselben Zeit gebaut, es steht aber im Gegensatz zu den anderen, im Sezessionsstil errichteten Bauten. Das Anheuer-Palais besitzt neobarocke Elemente – dieser Baustil prägte die vergangenen Jahrzehnte und war ausschlaggebend für die Architektur Temeswars. Das Gebäude wurde nach Plänen des Architekten Eugen Klein gebaut.

Das Karl-Kunz-Schloss, 1902-1903 errichtet, trägt typische Art-nouveau-Elemente: geschwungene Verzierungen und abgerundete Ecken, Säulen mit in Stein gemeißelten Frauenköpfen. Besonders beeindruckend ist der Eingang: ein hohes Tor mit welligen Metalldekorationen, das zwei „Monster“ überragen.
Gleich nebenan befindet sich das Székely-Palais, 1911 erbaut. Dieses wurde vom Stadtarchitekten László Székely für seine Mutter im Wiener Sezessionsstil errichtet. Das wohl bekannteste Bauwerk ist jenes der ehemaligen Neptun-Bäder – das einzige historische Gebäude in der Gegend mit sanierter Fassade. Die Baupläne wurden ebenfalls von dem berühmten Architekten László Székely entworfen. Das Palais der Neptun-Bäder baute man in den Jahren 1912-1914.
Elemente der ungarischen Szecesszió, wie etwa die geschwungene Girlande, prägen den Bau. Hier waren zur damaligen Zeit die öffentlichen Bäder, ein Schwimmbecken und ein Restaurant untergebracht. Ein Luxusrestaurant gibt es dort auch heute noch, zudem wurden mehrere Büroräume eingerichtet.
Weiter geht es in Richtung Domplatz. Hier befinden sich mehrere repräsentative Gebäude des Temeswarer Art nouveau. Das Brück-Haus am Domplatz wurde 1910 von den Architekten László Székely und Arnold Merbl im Auftrag des damaligen Inhabers, dem Apotheker Salamon Brück, entworfen. Das farbenfrohe dreistöckige Gebäude ist mit ungarischen Folklore-Motiven versehen. Im Erdgeschoss befindet sich auch heute noch eine Apotheke, in der teilweise noch das Originalmobiliar erhalten geblieben ist. Die Fassade des Brück-Hauses wurde vor ungefähr drei Jahren saniert.

Ebenfalls am Domplatz steht ein anderes Kunstwerk des Art nouveau. Der Sitz der ehemaligen Diskontobank – das Miksa-Steiner-Palais - wurde von dem privaten Unternehmer Miksa Steiner (Max Steiner) zwischen 1908 und 1909 errichtet. Die Pläne stammen von den Architekten Marcell Komor und Jakab Dezsö , die die Schule des Budapester Architekten Ödön Lechner absolviert haben. Lechner war der bekannteste Förderer des ungarischen Szecesszió-Stils, der aus der ungarischen oder Szekler Folklore Inspiration schöpfte. Diese Elemente sind auch an dem Miksa-Steiner-Palais erkennbar. Das Gebäude, das an die Bauten des spanischen Antoni Gaudi erinnert, soll künftig saniert werden und ist vorläufig von einem schwarzen Netz umhüllt.

Am Temeswarer Opernplatz stehen links und rechts historische Gebäude im Art-nouveau-Stil. Die Paläste Lloyd, 1910–1912 nach Plänen des Architekten Leopold Baumhorn vom Unternehmen Arnold Merbl errichtet, Neuhausz, das auch eklektische Elemente besitzt, Dauerbach, Lajos Hilt (Hilt&Vogel) und Széchény befinden sich auf der als „Corso“ bekannten Flaniermeile des Opernplatzes. Das Dauerbach-Palais trägt den Namen seines Besitzers, György Dauerbach, und wurde 1911–1912 errichtet. Die Immobilie umfasst mehrere Appartements, die zur Miete freigegeben wurden. Im Erdgeschoss befand sich einst das berühmte Restaurant Palace, das während des Sommers in einem Gastgarten die Kunden empfing.

Doch nicht nur in der Innenstadt gibt es Gebäude im Art-nouveau-Stil. Wenn man vom Stadtzentrum aus in Richtung Josephstadt schlendert, stößt man auf das sogenannte Tor zu den beiden Stadtteilen Joseph- und Elisabethstadt. Linker Hand befindet sich das Franz-Marschall-Palais, rechter Hand der sogenannte Wasserpalast. Repräsentativ für die Art-nouveau-Zeit ist das Franz-Marschall-Palais. Dieses wurde nach Plänen des Architekten Martin Gemeinhardt erbaut und ist mit zahlreichen organischen Zierelementen, wie etwa Schmetterlingen oder dem Baum des Lebens, versehen. Nicht weit davon entfernt, am Plevnei-Platz, stehen einige kleinere Altbauten, die Elemente des Art nouveau aufweisen. Das sogenannte „Haus mit den Pfauen“ bleibt meist vor den neugierigen Augen der Touristen versteckt, denn viele lernen während ihres kurzen Temeswar-Aufenthalts lediglich die Innenstadt kennen. Das Haus mit den Pfauen, das langsam, aber sicher verfällt, ist ebenfalls ein Meisterwerk des Architekten Martin Gemeinhardt. Die Basreliefs zweier Pfauen zieren die Fassade des Hauses, aber auch der „Lebensbaum“ kann hier entdeckt werden, mit allen Naturelementen, die dazu gehören. Wölfe, Eulen, Eichhörnchen und jede Menge Pflanzen sind auf der Fassade im Flachrelief abgebildet. Das Gebäude soll binnen sechs Monaten errichtet worden sein.

Die Stadtführung auf den Spuren des Art nouveau endet in der Josephstadt, wo einige Gebäude – stark dem Verfall ausgesetzt - als Zeugen einer Avantgarde-Bewegung bewundert werden können. Das Temeswarer Architekturerbe birgt viele Schätze, die es wert sind, entdeckt zu werden.