Geschichte auf Schritt und Tritt

In Edirne, dem ehemaligen Adrianopel, der westlichsten Großstadt der Türkei

Die Selimiye-Moschee wurde in den Jahren 1568 bis 1575 vom Baumeister Sinan errichtet und gilt im Orient als ein diesbezügliches Meisterwerk.

Eine der mittelalterlichen osmanischen Brücken über den Meric-Fluss dient auch heute dem Verkehr zwischen den Stadtteilen von Edirne.

Unter dem Klang der Trommeln bewegen sich rhythmisch Tänzer und Tänzerinnen in der bunten türkischen Tracht.
Fotos: Dieter Drotleff

Nicht Istanbul oder einer der sonnigen Kurorte an der türkischen Meeresküste sollte mein Reiseziel werden, sondern Edirne, die westlichst gelegene Großstadt der Türkei mit ihren rund 138.000 Einwohnern, zugleich Vorort gleichnamiger Region. Das ehemalige Adrianopel, wie die Stadt aus der Geschichte bekannt ist, liegt in Ostthrakien, im europäischen Teil der Türkei, im Dreiländereck Bulgarien – Griechenland – Türkei. Da trifft man Geschichte auf Schritt und Tritt, wie ich mich schnell überzeugen konnte.

Zudem hat Edirne eine malerische Lage an mehreren Flüssen, die von alten Brücken überquert werden. Obwohl man sich doch noch in Europa befindet, so wird man von den in die Höhe ragenden Minaretts der Moscheen und den fünfmal täglich erfolgenden  Rufen der Muezzins (Gebetsrufer) zum Gebet in die orientalische Welt versetzt.

Moderner, aber auch chaotischer Flughafen 

Mit einer Maschine der Turkish Airlines gelangt man nach einem etwas mehr als eine Stunde dauernden Flug vom Bukarester Otopeni-, auf den Internationalen  Atatürk-Flughafen von Istanbul. Schon beim Landeanflug wird man von dessen Dimensionen überwältigt. Der Flughafen ist eine kleinere Metropole, in der  allerdings alles etwas chaotisch zugeht. Man wird von einem  regelrechten Schwarm an Völkern aller Nationalitäten aufgenommen, was an Verhalten, Kleidung und Hautfarbe gleich feststellbar ist. Über drei Terminals verfügt der Flughafen: dem internationalen, dem für internen Flugverkehr und dem für Fracht.

Etwa 40 Millionen Passagiere werden pro Jahr abgefertigt, so dass man sich besonderes beim Abflug ausreichend Zeit nehmen sollte, da man bei den zwei Sicherheitskontrollen auf lange Geduldsproben gestellt wird. Bedenkt man, dass Premierminister Erdogan hier unter anderen Projekten bis 2017 den größten Flughafen der Welt eröffnen will, auf dem jährlich 150 Millionen Fluggäste abgefertigt werden sollen, kann man sich leicht ein Bild davon machen, was dann auf einen warten wird. Auch hat Erdogan noch weitere Projekte im Sinn, die weltführend sein sollen. Mit einer Fläche von 780.576 Quadratkilometern und 74 Millionen Einwohnern gehört die Türkei zu den aufstrebenden Ländern der Welt.  

Innerhalb einer halben Stunde kann man in das 25 Kilometer weit entfernte Stadtzentrum mit einem Taxi gelangen. In Istanbul -  die einzige Stadt in der Welt, die auf zwei Kontinenten liegt, seit 1973 verbunden durch  eine Hängebrücke über den Bosporus –, ist, wie vieles andere, auch der Verkehr unberechenbar. Man sollte aber erst  zu seinem Reiseziel kommen. Und somit bekomme ich bei der Ausfahrt aus Istanbul einiges von der Stadt zu sehen. Moderne Hochbauten, zwischen denen man die für Istanbul spezifischen Tulpenbeete bewundern kann, aber auch unkontrollierte Müllablagerungen an kleinen Hängen wechseln  einander ab. So ist auch die türkische Gesellschaft gespalten in Reiche und Arme, in Menschen, die Traditionen berücksichtigen, und ihre Landsleute, die die westlichen Gewohnheiten längst angenommen haben. Obwohl seit dem Ausrufen der demokratischen Republik Türkei durch Kemal Atatürk am 29. Oktober 1923 als Nachfolgestaat des Osmanischen Reiches auch die Gleichberechtigung der Frau gesichert wird, gibt es doch noch gesellschaftliche Vorurteile, gegen die gekämpft wird.

Die  Autobahn, auf der wir mit einem Kleinbus nach Edirne fahren, führt durch eine ruhige Hügellandschaft, wobei man auch von dem geringen Verkehr überrascht wird. Edirne ist ein Zentrum der fruchtbaren Landwirtschaft, aber auch ein aufstrebender Industriestandort im Bereich der Textilindustrie. Lederwaren, Teppiche, Rosenwasser und -öl werden auch hier hergestellt und exportiert.

Von Flusslandschaft geprägt

 Nach den rund 240 Kilometern, die wir von Istanbul aus zurücklegten, erreichen wir die Stadt an der Einmündung  der Tunca und Arda in den Meric-Fluss. Edirne ist zudem ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt in genanntem Dreiländereck. In die Stadt kann man auch per Eisenbahn mit dem IC Bukarest – Sofia - Istanbul gelangen. Der ehemalige osmanische Bahnhof wurde restauriert und dient heute als Rektorat der hiesigen Universität, an der mehr als 30.000 Studenten unterrichtet werden. Ein neuer Bahnhof wurde somit gebaut. Das Fünf-Sterne-Hotel Margi, in dem wir gebucht haben, befindet sich in einem der Neubauviertel. Insgesamt stehen 25 Hotels den Touristen zur Verfügung. Im Stadtzentrum kann man im Saray-, Edirne-Palace-, Tasodalar- oder einem anderen Hotel gut unterkommen.

Jahrhundertealte Geschichte

Erste Siedlungen in dem Gebiet gab es schon im fünften Jahrtausend v. Chr. Im Laufe der Geschichte hat die Stadt auch verschiedene Namen getragen.  Zwischen 171 und 168 v. Chr. wurde das Gebiet von den Römern besetzt. Während der Zeit von Kaiser Claudius wurde Thrakien erobert. Hadrian befahl um 125 n. Chr., die Stadt wieder aufzubauen und gab ihr den Namen Hadrianopolis. In die Geschichte ist die Schlacht von Adrianopel (378) eingegangen, wo die Römer von den Goten geschlagen wurden. Später wurde die Stadt (um 790 - 800) Zentrum des neu byzantinischen militärisch-administrativen Distriktes Makedonien. 1204 ist Adrianopel nach einer Schlacht in bulgarische Hände gelangt. Nachdem die Stadt 1362 von den Osmanen erobert wurde, war diese sogar von 1368 bis 1453 Hauptstadt des Osmanischen Reiches. In der Stadt schlossen die Sultane des Osmanischen Reiches dreimal Frieden: 1568 mit dem Heiligen Römischen Reich, 1713 und 1829 mit dem russischen Zarenreich.  In den russisch-türkischen Kriegen von 1828/1829 und 1877/1878 wurde die Stadt mehrmals angegriffen und erobert. Im ersten Balkankrieg nahmen die Bulgaren dann die Stadt am 26. März 1913 ein. Im Zweiten Balkankrieg  haben die Türken sie wieder zurückerobert. Dabei wurden, mit zwei Ausnahmen, die bulgarischen Kirchen zerstört. Auch fiel die Stadt nach dem Ersten Weltkrieg 1920 durch den Vertrag von Sevres an Griechenland. Durch den Vertrag von Lausanne 1923 ging sie zurück an die Türkei. 

Moscheen und sonstige Sehenswürdigkeiten

Berühmteste Sehenswürdigkeit von Edirne ist die Selimiye-Moschee, ein Werk des bekannten osmanischen Baumeisters Sinan, der sein Meisterwerk in den Jahren 1568–1575 errichtete. Die große Hauptkuppel steht ohne Stützen, sie wird durch die vielen Seitenkuppeln getragen - ein einzigartiges Baukonzept für die Zeit. In den Innenhöfen stehen kunstvolle Brunnen und Nebenräume, die ein sehenswertes Museum beherbergen. Die Moschee, die zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört, ist etwas ins  Abseits gerückt, da die Stadt über keinen Flughafen verfügt. Die Ruinen der römischen Stadtmauern mit einem byzantinischen Turm, die Rüstem-Pascha-Karawanserei aus dem Jahre 1554, die Alte Moschee, der Gebäudekomplex von Sultan Beyazid II., 1488 fertiggestellt, sind weitere Sehenswürdigkeiten. Um die im Zentrum stehende Moschee gab es eine Medizinschule, ein Krankenhaus, ein türkisches Bad (Hammam), ein Verwaltungsgebäude, eine Grundschule. Nun befindet sich dort auch das türkische Museum zur Geschichte der Psychiatrie.

Die drei Basare der Stadt, von denen der älteste aus dem Jahre 1418 stammt, die Holzhäuser aus dem alten  Stadtteil, die über die Tunca und Meric gebauten und renovierten osmanischen Brücken stellen weitere Anziehungspunkte dar. In Edirne gibt es ein archäologisches und ethnografisches Museum mit Funden aus dem ehemaligen Thrakien, sowie ein Museum der türkischen und islamischen Kunst.
Edirne ist auch das Zentrum des alten türkischen Nationalsports, dem Öl-Ringkampf Kirkpinar, eine Art Wrestling-Show, die man sich nicht entgehen lassen sollte. Auf der am Stadtrand gelegenen modernen Arena wird das diesbezüglich bedeutendste Landesturnier ausgetragen. Die Körper der Ringer werden ganz mit Öl eingerieben, die  dann versuchen, den Gegner unter Einhaltung bestimmter  Regeln zu besiegen. Der Schiedsrichter erlaubt keine Abweichungen. Alles unter Trommelschlägen und den Zurufen Hunderter Zuschauer, die die Ränge bis auf den letzten Platz füllen. Die abendfüllenden Programme bei türkischen Speisen, in denen sich Tänzer und Tänzerinnen in traditionellen Trachten, rhythmisch unter den Trommelschlägen und orientalischer Musik bewegen, sollte man keineswegs verpassen.