Moldauische Appetithäppchen

Kurzurlaub „zwischen“ Europa und Russland

Markttreiben am Bahnhof von Chişinău

Blick ins malerische Răut-Tal vom Kloster Orheiul Vechi

Kirchturm im Kloster Noul Neamţ

Beobachtungsstation der Verkehrspolizei am Stadtrand von Bendery
Fotos: Robert Pfützner

Moldawien. Im Erdkundeunterricht war das eines jener Länder auf der Karte, die man nicht aus dem „FF“ wusste. Die Spitze des Zeigestocks wanderte anlässlich der mündlichen Topografie-Tests meist irgendwo zwischen Kasachstan, dem Ural und dem Schwarzen Meer hin und her, bis dann, endlich, das Land „am Rand Europas“ gefunden wurde. Wobei das ja gar nicht stimmt. 1887 haben österreichische Wissenschaftler den Mittelpunkt Europas im ukrainischen Dorf Dilowe „gefunden“ – nur 300 Kilometer westlich der moldauischen Grenze. In diesem Sinne ist die Republik Moldau ein zentraleuropäisches Land. Allerdings, das ist das Tragische, ist seit jeher umstritten, wo die Grenzen Europas liegen - und damit auch der Mittelpunk des Kontinents. Unabhängig davon, das kleine Land ist eine Reise wert!

Die drei freien Tage über Pfingsten nutze ich mit zwei Freunden zu einer Stippvisite im Nachbarland Rumäniens. Um 23 Uhr startete der ziemlich unkomfortable Mikrobus vom Filaret-Busbahnhof in Bukarest, am nächsten Morgen um 6:30 Uhr wachten wir – nicht wirklich ausgeschlafen – in Chişinău wieder auf.

In der moldauischen Hauptstadt

Nachdem wir unser Gepäck im versteckt in einem Wohnblock gelegenen Hostel abgelegt hatten, ging es ins Stadtzentrum. Glücklicherweise steht an jeder Ecke Chişinăus ein kleiner Kaffee-Verkaufswagen, so dass wir unsere Übermüdung mit Koffein überwinden konnten. Im Park hinter der Statue Stefans des Großen setzten wir uns, um in der ruhigen Morgenstunde unseren Kaffee zu genießen. Doch kaum saßen wir, sprach uns ein Passant an.

In dem kurzen und sehr merkwürdigen Gespräch mit dem – wie er betonte – moldauischen Chişinăuer wurde uns erklärt, dass „die Russen“ generell böse seien, Putin ein Verbrecher, Merkel und Cameron hingegen die Retter Europas. Zuletzt stellte er uns noch die rhetorische Frage, wer die beiden größten Philosophen der Menschheit gewesen seien? Nach einem bedeutungsvollen Blick folgte die nichts als naheliegende Antwort: „Jesus Christus und Adolf Hitler.“ - Wir suchten schnell das Weite.

Die nächste Stunde versuchten wir, einen Stadtführer oder zumindest eine touristische Karte von Chişinău zu finden. Auf unsere diesbezüglichen Fragen ernteten wir ahnungsloses Kopfschütteln oder vage Empfehlungen. Schließlich schickte man uns zum Postamt, dort müssten wir etwas finden. - Warum die Leute das dachten, blieb uns auch nach dem Besuch in der Post schleierhaft – denn dort gab es nichts anderes außer das, was man eben für Brief- und Paketverkehr so braucht. Am Ende ergatterten wir in einem Buchladen eine Karte Chişinăus.Vor dem Mittagessen machten wir einen Abstecher in das Nationale Historische Museum, das zwar mit einigen interessanten Exponaten aufwarten konnte, ansonsten aber eher mit seiner Architektur als mit seiner Ausstellung beeindruckte. Immerhin: Es war der letzte Samstag des Monats und der Eintritt daher frei.

Die Nacht im Bus steckte uns immer noch in den Knochen und so entschieden wir uns, den Nachmittag im Park zu entspannen. Auf unserer Karte war zentrumsnah ein großer Park mit See, das Mühltal,  „Valea Morilor“, verzeichnet. Schnell erreichten wir den See, spazierten einmal herum. Dröhnende Bässe aus dem gegenüberliegenden Biergarten schallten über das Wasser, doch als wir die Schankwirtschaft erreichten, war die Musik leise geworden und wir kehrten auf ein paar Schluck „Chişinău-Bier“ ein.

Auf dem Rückweg stolperten wir zufällig ins „Teatrul Verde“, ein in den 1950ern erbautes Freilufttheater, in dem traditionelle Tanzgruppen ihr Können präsentierten. Wir bestaunten das Treiben eine Weile, bis uns die Moderatorin, die gebetsmühlenartig wiederholte, es handle sich hier um ein „ökologisches Festival“ doch etwas auf die Nerven ging, und wir uns nach einem Restaurant fürs Abendessen umsahen. Was allerdings das ökologische am Festival war, blieb uns verborgen...

Im Mikrobus nach Orheiul Vechi

Nach einem Tag in Chişinău wollten wir ein wenig Landluft schnuppern, und unserer Gastgeberin empfahl uns, nach Orheiul Vechi zu fahren. Wir nahmen den Vorschlag dankbar an, und kauften – vorbildlich - unsere Karten anderthalb Stunden vor Abfahrt des Busses: Plätze 1, 2 und 3. Da noch genügend Zeit bis zur Abfahrt war, erkundeten wir den riesigen Markt neben dem Busbahnhof. Wir durchquerten eine wunderschöne Käsehalle, die Verkäuferinnen mit Häubchen und Schürze neben alten blauen Wagen; kauften uns frisches Obst für die Fahrt und verliefen uns in den Schluchten des Werkzeugmarktes, der das Herz jedes Heimwerkers hätte höherschlagen lassen.

15 Minuten vor der Abfahrt waren wir wieder am Bus. Zu unserer Überraschung war der schon voll besetzt und auf unsere naive Frage, wo wir denn nun sitzen sollten, bedeutet man uns, wir sollten stehen. Wie die sprichwörtlichen Heringe wurden mehr und mehr Menschen in den kleinen Transporter gestopft, aus dem Autoradio schepperte moldauische Volksmusik. Nach einer Stunde im überhitzen Bus erreichten wir unser Ziel, die Klosteranlage Orheiul Vechi.

Drei Stunden später sollte derselbe Bus wieder kommen und uns zurück nach Chişinău bringen – genügend Zeit also, um das Kloster und das nahe gelegene Dörfchen zu erkunden. Malerisch zwischen zwei tiefen Tälern liegt das Kloster, das sich zum Teil in einer in den Fels gehauenen Höhle befindet, auf einem Bergrücken, von dem man einen schönen Ausblick hat. Im pittoresken Dorf ist zwar ein Museum ausgeschildert – vorhanden ist es nicht – dafür bieten mehrere behutsam sanierte Herbergen Essensmöglichkeiten und – für Übernachtungsgäste – Betten. Unter anderem findet sich eine „ökologische“ Pension vor Ort.

Ökologie ist derzeit überhaupt ein großes Thema in der Moldau, auch im Wahlkampf um das Bürgermeisteramt, der zurzeit tobt. Zurück in Chişinău wurden wir beim Passieren des Stefan-cel-Mare-Parks - zuweilen hat man den Eindruck, es gibt nichts in Chişinău, das nicht nach dem großen Woiwoden benannt ist - von musikalischen Klängen angelockt, und wir trafen auf den „moldauischen Roland Kaiser“, der schmalzige Lieder zur Unterstützung des grünen Kandidaten von sich gab, und offensichtlich schon einige Becher ökologisch produzierten Weines intus hatte, denn so richtig sicher auf den Beinen konnte er sich nicht mehr halten.

Tagestour nachTransnistrien

Der letzte Tag unserer Reise führte uns in die abtrünnige Republik Transnistrien, wo wir von Andreij, unserem Gästeführer, am Tiraspoler Bahnhof abgeholt wurden. Entgegen unserer Erwartung gestaltete sich die Einreise in die „Pridnestrowische Moldauische Republik“ - so ihre offizielle Bezeichnung – problemlos. Mit dem Zug nach Odessa fuhren wir am Morgen von Chişinău ab. Allein diese Zugfahrt wäre die Reise Wert gewesen. Der offensichtlich alte, aber überholte Waggon mit eleganten Ledersesseln und einer gut ausgestatten Bar hätte in Puncto Komfort mit jedem ICE der Deutschen Bahn mithalten können, wenngleich auch nicht mit dessen Geschwindigkeit: Zwei Stunden Fahrt für knappe 70 Kilometer!

Andreij, der fließend Deutsch spricht, betreibt ein kleines Tourismusunternehmen und bietet Touren durch Transnistrien an. Auf der von uns gebuchten „klassischen Tour“ besuchten wir einen Kulturpalast mit großer Lenin-Büste davor, ein Denkmal, das an die „Operation Jassy–Kishinev“ erinnert, die hier am 20. August 1944 begann, und das Mitte des 19. Jahrhunderts von zwei rumänischen Mönchen gegründete Kloster Noul Neamţ. Am meisten überrascht hat uns das Denkmal zu Ehren des Barons Münchhausen. Der berühmte Lügenbaron soll hier auf der Festung Bendery seine Geschichte vom Flug auf der Kanonenkugel geschrieben haben. Eine überdimensionierte Kugel, auf der man Erinnerungsphotos machen kann, steht zum Gedenken neben der Büste des Braunschweigers.

Pünktlich zum Ende unseres Transnistrien-Ausfluges begann es zu gewittern und im Mikrobus – diesmal mit Sitzplätzen – flüchteten wir zurück nach Chişinău. Von hier nahmen wir wieder den Nachtbus nach Bukarest – da Pfingstmontag ein Feiertag ist, fuhr der nur werktags verkehrende, wesentlich komfortablere Nachtzug leider nicht. Erschöpft, aber mit dem festen Entschluss, das nächste Mal länger in der Moldau zu bleiben, erreichten wir im Morgengrauen den Ausgangspunkt unserer Reise.