Straßburg – die Europäerin

Wo sich UNESCO-Weltkulturerbe und modernes Europäisches Viertel treffen

Das Münster gilt als bekanntestes Wahrzeichen Straßburgs.

Malerische Fachwerkbauten am Münsterplatz.

Eine der romantischsten Ecken der Stadt: La Petite France.
Fotos: der Verfasser

Wie New York oder Genf ist auch Straßburg/Strasbourg, ohne Landeshauptstadt zu sein, eine Stadt von überragender politischer Bedeutung. Dort haben Europarat und das Europäische Parlament ihre Sitze wie auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Deshalb wird Straßburg als Hauptstadt Europas bezeichnet, eine Stadt die ihre „europäische Berufung“ immer wieder unter Beweis stellt.
„Diese große Stadt war Zeuge der menschlichen Dummheit, die versuchte, die Dinge durch den Krieg, die Grausamkeit und die Zerstörung zu regeln“, sagte 1949 der britische Staatssekretär für Außenpolitik, Ernest Bevine, als er vorschlug, den zunächst aus zehn Staaten bestehenden Europarat in Straßburg anzusiedeln. Die Stadt am Rhein, die heute, was die Bevölkerung betrifft (rund 275.000 Einwohner), mit Kronstadt/Braşov verglichen werden kann, ist zum Symbol der deutsch-französischen Aussöhnung geworden und darüber hinaus für die Einheit Europas, für die Werte, die die Europäische Union verkörpern will.

Ideen und Prinzipien in Architektur

Der neue Sitz des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) wurde vom britischen Architekten Richard Rogers entworfen. Die in einer Stahlstruktur eingefassten dominierenden Glasflächen sollen für Transparenz stehen und weichen somit ab vom traditionellen Bild einer Gerichtsbehörde. Von oben betrachtet erinnern die beiden Sitzungssäle an Waagschalen, wobei die Waage die Justiz und das Abwägen der Gerechtigkeit symbolisiert. Den Sitz des Europarates (Palais de l’Europe) hat ein französischer Architekt, Henry Bernard, entworfen. Von außen her sollte das Gebäude nach Wunsch des Architekten, für „die Kraft und die Geschlossenheit der Union“ stehen. Im Inneren will die kurvenreiche Bauweise die freie Zirkulation der Ideen suggerieren. Das 64.000 Quadratmeter große Gebäude beherbergt 1000 Büros, 17 Sitzungsräume und in seiner Mitte den Plenarsaal mit 600 Plätzen. Nicht nur Politiker oder EU-Abgeordnete dürfen diese Räumlichkeiten betreten. Sie können bei Voranmeldung und in organisierten Gruppen auch von Europas Bürgern und Touristen aus der ganzen Welt besichtigt werden. Weitere europäische Institutionen, die ihren Sitz in Straßburg haben, sind: das Eurokorps, für Sicherheit und Frieden gedacht, als Antwort auf Krisensituationen (zur Zeit mit Unterstellung von Streitkräften aus Belgien, Deutschland, Frankreich, Luxemburg und Spanien); der europäische Fernseh-Kulturkanal ARTE, finanziert durch Rundfunkgebühren aus Frankreich und Deutschland; die Zentralkommission für die Rheinschifffahrt; die Versammlung der Regionen Europas; die Europäische Wissenschaftsstiftung und andere.

Das Münster als Wahrzeichen

Das Münster dominiert durch den 1439 beendeten Glockenturm Straßburgs Skyline der Altstadt. Bis Mitte des 19. Jahrhundert war das Münster, das aus Sandstein errichtet wurde, das größte Gebäude des Abendlandes. Es ist eine der markantesten Kathedralen Europas und hat bekanntlich auch Goethe stark beeindruckt. Von der Turmplattform in 66 Metern Höhe bietet sich ein schöner Ausblick in die gesamte Region bis zu Schwarzwald, Vogesen und Jura. Ein technisches Meisterwerk stellt auch die astronomische Uhr dar, mit ihrem Umlauf der zwölf Apostel. In ihrer jahrhundertealten Geschichte hatte das römisch-katholische Gotteshaus auch eine protestantische Etappe im 16. Jahrhundert. 1539 soll hier der erste Weihnachtsbaum in einer Kirche aufgestellt worden sein. Später, während der Französischen Revolution, blieb das Münster nicht verschont von Zerstörungen an Fassaden und Portalen. Das Ärgste aber vermieden die Straßburger: fanatische Revolutionäre wollten den Nordturm abreißen, weil er ihnen als Ausdruck der klerikalen Arroganz erschien. Der Straßburger Jean-Michel Sultzer schlug vor, als Turmhaube eine phrygische Mütze (Jakobinermütze) aus bemaltem Blech aufzusetzen, so dass die Kathedrale als solche erhalten blieb!

Vor der imposanten Westfassade mit seinem kunstvoll verzierten hochgotischen Hauptportal steht der ebenfalls weltbekannte Münsterplatz, gesäumt von schönen Fachwerkhäusern. Dort findet alljährlich der traditionelle, viel besuchte Weihnachtsmarkt statt. Im Sommer hingegen, in den Abendstunden der Monate Juli und August, hebt eine kunstvoll gestaltete Beleuchtung der Westfassade Details der Verzierung hervor, die ansonsten durch ihre Üppigkeit und Vielfalt gar nicht in ihrer ganzen Pracht wahrgenommen werden kann. Nicht zu verpassen ist ein Spaziergang durch das Gerberviertel, besser bekannt als „La Petite France“. Es ist ein malerisches Viertel am Ufer der Ill, früher von Gerbern, Müllern und Fischern bewohnt, mit schönen Fachwerkhäusern aus dem 16. und 17. Jahrhundert, mit Innenhöfen und großen, steilen Dächern, auf deren Dachböden früher die Felle getrocknet wurden. Es ist mit Recht „eine Insel des Friedens im Herzen der Stadt“, wobei man heute in den dortigen zahlreichen Gaststätten auch etwas von der französischen und elsässischen Gastronomie ausprobieren kann.

Batorama für 12,50 Euro

Eine rund 70 Minuten dauernde Stadtbesichtigung vom Schiff aus ist das ganze Jahr hindurch zum Preis von 12,50 Euro möglich. Die Anlegestelle des modernen Schiffes befindet sich beim Rohan-Schloss. Angeboten wird eine Führung mit Varianten in zwölf Sprachen. In vier Sprachen gibt es sogar  für Kinder gedachte Erklärungen. Wer im Besitz eines „Strasbourg-Passes“ ist, kann diese Batorama kostenlos mitmachen. Beim „Strasbourg-Pass“ handelt es sich um ein Angebot des Fremdenverkehrsamtes der Stadt: Für 18,90 Euro (Ermäßigung zwischen 9,45 und 12,45 Euro für Kinder und Jugendliche) kann man sich drei Tage lang an Besichtigungen von Bauwerken und Einrichtungen mit kostenlosem oder ermäßigtem Eintritt erfreuen. Und zu sehen gibt es Vieles: die Altstadt, die zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt wurde, eine Vielfalt von Museen (z.B. das Frauenwerkmuseum, das Schokoladenmuseum, das historische Museum, das zoologische Museum, das Tomi-Ungerer-Museum, ein Voodoo-Museum in einem Wasserturm, wobei nach guter französischer Tradition bei vielen Museen der Eintritt am ersten Sonntag des Monates frei ist), der Trödelmarkt, der Büchermarkt, der Bergbauernmarkt, Parks, Grünanlagen, die Gedeckten Brücken, historische Weinkeller, der botanische Garten, die Orangerie und andere Grünanlagen. Oder man mietet sich ein Fahrrad und erkundet so Straßburg. Allerdings muss dabei auch eine Kautionsumme beglichen werden, die mindestens 200 Euro beträgt. Straßburg, die Stadt, wo die germanische und die lateinische Welt zusammenfließt, oder, wie es in einer offiziellen Stadtpräsentation heißt, die Stadt, die sich „im Spannungsfeld von französischer und deutscher Kultur“ befindet, hat als inoffizielle europäische Hauptstadt Neues und Altes, Französisches und Deutsches, aber auch Europäisches, Diplomatie und Touristen, Politiker und Straßburger problemlos vereinen können und ist darüber hinaus auch ein wirtschaftlich erfolgreicher Standort mit kulturellen Highlights und innovativen Initiativen im Umweltschutz.