Tourist im Reich der Mitte

Teil 1: Hoch über den Dächern von Shanghai

Die glitzernde Skyline am Abend

Blick aus dem 119. Stock im Shanghai-Tower

Viele Chinesen verbringen ihre Freizeit in Parks.

Eine Aerobic-Stunde im Freien
Fotos: die Verfasserin

Um 6.50 Uhr morgens beginnt der Landeanflug auf den Flughafen Shanghai Pudong.  Zehneinhalb Stunden zuvor war die Maschine der Austrian Airlines aus Wien gestartet, um anschließend über den halben Erdball zu fliegen. In Rumänien ist es 1 Uhr nachts. Bald sind es 24 Stunden, seitdem der Wecker in Bukarest geklingelt hat und ich schnell per App ein Taxi bestellt habe, das mich halb verschlafen nach Otopeni gebracht hat.  Im Sinkflug beobachte ich aus dem Flugzeugfenster, wie die Wolkenkratzer Shanghais - winzige silberne Kartonschachteln, von einem dichten, gelblichen Nebel umgeben -  durch die Wolken dringen.

Über der Nebelschicht, bei 10.000 Metern Höhe, ist der Himmel dunkelrosa. Die Sonne geht auf. Ein sonniger Novembertag kündigt sich an. Laut Bordcomputer sind schon zu dieser Morgenstunde 14 Grad in Shanghai, zu Mittag werden 23 erwartet. Ganz anders als im verregneten und kalten Rumänien. Wir sinken auf 7000 Meter, bald sind es 4000, gleich nur 800. Dann landet der Flug OS 75 auf dem Flughafen der chinesischen Riesenmetropole. Ein Abenteuer beginnt.

Andere Länder, andere Sitten

An der Passkontrolle hat sich schon eine große Schlange gebildet. Die Luft ist trocken, ich habe Durst. Ich schaue mich um, entdecke einen Wasserautomaten, nehme einen Kartonbecher, stelle ihn unter den Wasserhahn und drücke auf den Knopf. Wasser fließt in den Becher, aber etwas ist nicht in Ordnung. Es ist heiß. Dann erinnere ich mich, irgendwo gelesen zu haben: Chinesen trinken kein kaltes Wasser.
Auch darüber, dass man in China ungeniert in der Öffentlichkeit laut rülpst und dauernd auf den Boden spuckt, hatte ich gelesen. Und tatsächlich – etwas später, am Gepäckschalter, muss ich aufpassen, dass mir ein eleganter Mann in schwarzem Anzug und Krawatte nicht auf die Schuhe spuckt. Es gibt viele Sachen, die in China „anders“ sind und als Tourist muss man sich schnell mit den bizarren Gewohnheiten der Bewohner abfinden. Je schneller man das tut und erkennt, dass hier einfach andere Regeln gelten, desto mehr genießt man dieses faszinierende Land.

Bei der Passkontrolle hängt überall die rote China-Flagge mit den fünf gelben Sternen. Als der wortkarge und streng blickende Offizier an der Kontrolle meinen Pass stempelt, atme ich erleichtert auf. Nach vier vergeblichen Versuchen, an der Chinesischen Botschaft in Bukarest das Touristenvisum zu erhalten, hatte ich es beim fünften Mal endlich geschafft. Schon damals musste ich lernen, dass man in China fast nie komplette Informationen erhält. Sogar auf falsche Fährten kann man gebracht werden. „Falls du einen Chinesen nach dem Weg zu einer bestimmten Adresse fragst, gibt er dir lieber eine falsche Richtung an, als dass er zugibt, den Weg nicht zu kennen“, hatte ich gelesen. Falls man zugibt, etwas nicht zu wissen, bedeutet es „man verliert sein Gesicht“. „Das „Gesicht“ steht für den Ruf und die Position einer Person.
Eine andere „Besonderheit“: In China scheut man zu engen Körperkontakt. 14 Tage lang habe ich nur zwei Personen gesehen, die sich in der Öffentlichkeit umarmt haben: zwei ältere Frauen in einer U-Bahnstation.
 Höchstwahrscheinlich waren es Zwillinge, die bei der Geburt getrennt worden waren und sich seit langer Zeit wiedergesehen haben. Eine andere „Regel“, die in China gilt: grundsätzlich wird man hier angerempelt, wenn man im Weg steht. Niemand wartet bei der U-Bahn darauf, dass zuerst die Fahrgäste aussteigen. Man drängt sich einfach hinein, man lässt niemandem den Vortritt.

Im Wolkenkratzerviertel

Um acht Uhr morgens ist der Bund, die 2,6 Kilometer lange Uferpromenade Shanghais, besonders lebhaft. Leute spazieren im T-Shirt und fotografieren die Schiffe, die auf dem Huangpu-Fluss verkehren. Die Bäume sind grün. Die Luft riecht  nach Verbranntem. Es ist der Smog, der in China viele Städte im dichten Nebel verschwinden lässt. Die Luftverschmutzung ist an diesem Tag besonders hoch. Wegen des Smogs limitiert die  23-Millionen-Metropole die Kfz-Zulassungen drastisch. Man muss über 10.000 Dollar zahlen, um überhaupt ein Auto fahren zu dürfen. Langsam tauchen hinter dem Nebelschleier riesige Gebäude auf, die aussehen, als ob sie  in Stanniol gewickelt wären – an der Skyline von Shanghai kann man sich nicht satt sehen. Der allerschönste Wolkenkratzer sieht von Weitem aus wie ein riesiges Bonbon am Stiel.  Es ist der orientalische Perlenturm.

Mit einer Höhe von 468 Metern ist er der dritthöchste Fernsehturm Asiens und der fünfthöchste der Welt. Seine einzigartige Konstruktion aus elf verschieden großen Kugeln auf unterschiedlichen Höhen, die von Säulen getragen werden, ist eines der bekanntesten Wahrzeichen der Stadt. Am schönsten kann man ihn fotografieren, wenn man auf den Shanghai Tower steigt. Mit 128 Etagen ist er das höchste Gebäude Chinas und das zweithöchste der Erde nach dem Burj Khalifa in Dubai (828 Meter).  Im Sommer 2015 wurde der Wolkenkratzer fertiggestellt. Am 1. Juli 2016 öffnete die Aussichtsplattform im 119. Stock in 552 Metern Höhe für die Besucher. Die höchste Aussichtsplattform in der 121. Etage auf 561 Metern (höher als auf dem Burj Khalifa mit 555,70 Metern) ist noch geschlossen.

Skybars, chinesische Cocktails und Tanzen unter freiem Himmel

Falls man auf den zweitgrößten Turm der Welt steigt, muss man wissen: man kann Glück haben oder nicht. Auch wenn draußen die Sonne strahlt und der Himmel klar scheint, kann es bei über 500 Meter Höhe Nebel geben. Dann sieht man nichts. Man sollte aber geduldig abwarten, es kann sein, dass der Nebel verschwindet. Dann wird man mit einer spektakulären Aussicht auf Shanghai belohnt und kann sich nicht sattfotografieren. Aber auch „am Boden“ kann man schöne Fotos machen. Zusammen mit dem 420 Meter hohen Jin Mao Tower und dem 492 Meter hohen Shanghai World Financial Center bildet der Shanghai Tower ein Ensemble von drei sehr hohen Wolkenkratzern. Stellt man sich zwischen die drei Türme, kann man großartige Selfies aufnehmen. Die Skyline von Shanghai kann man auch während einer anderthalbstündigen Bootsfahrt auf dem Huangpu-Fluss bewundern. Falls man draußen auf der Terrasse sitzen will, sollte man unbedingt ein Bier oder eine Cola und eine Tüte Erdnüsse kaufen. Ansonsten muss man in die Kabine. Aus dem Lautsprecher wird in komplett unverständlichem Englisch angesagt, an welchen Gebäuden man vorbeifährt.

Wenn es dunkel wird und die Lichter angehen, blinken die Gebäude wie bunte Diamanten. Während man die atemberaubende Landschaft betrachtet, kann man einen Cocktail in einer Skybar genießen. Im Cocktail inbegriffen ist auch die Aussicht, es lohnt sich auf jeden Fall. Fast alle Skybars haben Happy Hours, in denen man zwei Getränke zum Preis von einem bekommt. Im „Kartell“ ist der teuerste Cocktail nach dem Namen des ersten Anwalts benannt, der für die Bar gearbeitet hat: Florin. Er könnte Rumäne gewesen sein. Auf einem riesigen Gebäude glitzert die Inschrift: I love Shanghai. Es ist wahr: Sich in diese Stadt zu verlieben, ist nicht schwer. Hier stehen alt und neu, hochmodern und traditionell eng beieinander. Man geht vorbei an Teehäusern in touristisch-kitschigem Stil, an buddhistischen Tempeln, kommt in enge Gassen, wo Scooter vorbeisausen, es nach Mittagsessen riecht und gepunktete Pyjamahemden an den Fenstern trocknen, um dann in eine Straße einzubiegen, wo sich ein Designerladen-Schaufenster an das andere reiht. Gleich danach kommt der Fuxing-Park. Aus Lautsprechern tönt Tango-Musik, Leute tanzen dazu. Ein paar Meter weiter findet eine Aerobic-Lektion unter freiem Himmel statt. Ältere Frauen schwingen ihre Hüften im Rhythmus der Musik. Überhaupt trifft man in Parks sehr viele ältere Leute: Sie spielen Schach oder Mahjong (eine Art Rummy), sie machen Tai-Chi Übungen, tanzen, plaudern miteinander und scheinen glücklich zu sein.