Über unser tägliches Brot

Ein Rundgang durch das Brotmuseum in Ulm

So sah eine Backstube vor einem Jahrhundert aus.

Der Uschebti – ein Dienerfigürchen als typische Grabbeigabe – sät im Totenreich der Alten Ägypter.

Die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen: das Sortierbrett

„Les semailles“ – ein französisches Lied über das Säen – hier die Bebilderung
Fotos: Ştefana Ciortea-Neamţiu

Unser tägliches Brot – ein jahrtausendealtes Grundnahrungsmittel, das schon im Vaterunser gewürdigt, wird – verdient allein schon wegen seiner 6000 Jahre alten Geschichte unsere Aufmerksamkeit. 1955 haben dies auch Dr. Dr.h.c. Hermann Eiselen und Dr. h.c. Willy Eiselen festgestellt und damit den Grundstein für das älteste Brotmuseum der Welt gelegt, das fünf Jahre später in Ulm eröffnet wurde. Kein Wunder auch, dass dieses ausgerechnet in Deutschland liegt, denn die Deutschen sind stolz auf ihre Brotvielfalt. Die deutsche Brotkultur wurde sogar in das bundesweite Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes aufgenommen und soll 2016 oder 2017 auf die UNESCO-Liste des immateriellen Weltkulturerbes gesetzt werden.

Über 3500 Brotsorten deutschlandweit

Zwar kann sich jedes Land mit seinen Broten brüsten – da schmilzt dem Franzosen das Wort „baguette” auf der Zunge, während der Italiener auf sein „ciabatta” schwört – in Deutschland jedoch soll es weltweit das größte Brotsortiment geben. Deutschland ist zwar nicht das Land mit der ältesten Brotkultur, aber das Land mit der wohl größten Vielfalt an Sorten. In den 1980er Jahren wurden dort über 300 Brotsorten registriert. Seit einigen Jahren hat der Zentralverband des deutschen Bäckerhandwerks ein wertvolles Instrument geschaffen, um die über Jahrhunderte gewachsene Brotlandschaft zu erfassen: Über 3500 Brotspezialitäten wurden bisher in das online zur Verfügung gestellte Brotregister eingetragen. Für die große Zahl sorgt auch die Varietät an Getreidearten: außer Weizen gibt es Roggen, aber auch Gerste, Hafer und Dinkel, die zu Brot verarbeitet werden - und natürlich die verschiedensten Mischmehlsorten.

Grundvoraussetzung für das begehrte Label „UNESCO-Weltkulturerbe“ ist die Zugehörigkeit zur „Vielfalt der lebendigen kulturellen Ausdrucksformen, die unmittelbar von menschlichem Können getragen werden“. So versteht sich auch das deutsche Bäckerhandwerk. Um sich darauf vorzubereiten, hat der Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks bereits den 5. Mai zum Tag des deutschen Brotes ausgerichtet. Dieses Jahr soll er zum dritten Mal begangen werden.
Gegenstand des Museums ist, wie das ein Plakat eingangs  hervorhebt, „die Naturgeschichte des Getreides als Hauptrohstoff für Brot, die Technikgeschichte des Mahlens und der Brotherstellung, die Kultur- und Sozialgeschichte des Brotes in Vergangenheit und Gegenwart“. Das Museum versteht es  auch als besonderes Anliegen, historische Hungersnöte und die heutige Welternährungslage zu dokumentieren.

Traditionen, Geschichte und eine ganze Bandbreite an Exponaten - von Gemälden bis hin zu Zeitungsartikeln, von Gedichten bis zu Werbeplakaten, von ägyptischen Statuen bis zu Bildern der Forscher, die auf dem Feld der Genetik Grundsteine gelegt haben, Werbung für das Unternehmen Monsanto wie auch für den Biobauernhof nebenan, alles, auch Gerätschaften und Maschinen - findet darin einen Platz. Die Sammlung umfasst über 20.000 Objekte. Nur eines wird der Besucher hier nicht wiederfinden, nämlich Brot. „Weil Brot kein Museumsobjekt ist, sondern täglich frische Nahrung“, wie das Plakat am Eingang verrät.

Säen bringt Ordnung

Säen ist eine der ältesten Tätigkeiten der Menschheit. Gleich nach der Vertreibung aus dem Paradies soll man damit begonnen haben, lehrt die Bibel, die von den zwei Söhnen Adams und Evas spricht: dem neidischen und aggressiven Ackerbauern Kain, der seinen jüngeren Bruder Abel, den Hirten, erschlägt. Auch die Geschichtsbücher beleuchten den Ackerbau als eine der ältesten Beschäftigungen mit zivilisatorischem und organisatorischem Einfluss. Vom Sammler und Jäger und somit Nomaden wird der Mensch durch Landbearbeitung zum sesshaften Wesen. Das Säen wurde im Laufe der Zeit – die Exponate im Ulmer Brotmuseum beweisen es – mal als verführerisch, wahrscheinlich als Sinnbild der Fruchtbarkeit, öfter jedoch als Familienangelegenheit verstanden. Mal zeigt die Zeichnung eine leicht bekleidete Frau, mal eine Familie beim Säen: der Vater mit dem Samenkorb in der Hand, die Mutter und das Kind im Schatten des Baumes, das Mittagessen vorbereitend oder spielend – die Rollen genau aufgeteilt.

Die ersten Exponate, die meine Aufmerksamkeit auf sich lenken, sind viertausend Jahre alte, verkohlte Samen aus dem Neolithikum - in einem Grab in Oberschwaben gefunden.

Der Ackerbau hatte sich zuallererst in der Südosttürkei und in Nordsyrien, kurz darauf in der ganzen Levante durchgesetzt. Er verbreitete sich schnell und wurde mit bestimmten Ritualen verbunden. So sieht der Levitikus, das dritte Buch Moses, neben Opfergaben und rituellen Reinheitsgeboten auch eine bestimmte Art zu Säen vor. Man unterscheidet erlaubtes und verbotenes Säen: Felder sollten nicht mit zweierlei Arten besät werden. Ein Kupferstich aus dem 18. Jahrhundert macht auf diese jahrtausendealten Regeln aufmerksam. Die Ägypter  glaubten, dass auch im Jenseits gepflügt, gesät und geerntet wird: Uschebtis - symbolisiert durch kleine Fayence-Statuen als Grabbeigaben - übernahmen diese Tätigkeiten im Totenreich.

Säen hat mit Handlung, Ordnung und Planung zu tun, wird überall unterstrichen. Der Vorgang wird sehr genau beschrieben, was dem Besucher des Museums einen tiefen Einblick in eine Tätigkeit  gewährt, die heute, zumindest in Europa, nicht mehr so bekannt ist: „Bei der manuellen Breitsaat werden die Samenkörner auf der ganzen Fläche des Saatbeets verteilt. Hier hat der Sämann einen Saatgutsack umgebunden. Mit der rechten Hand wird beim Schritt auf den linken Fuß das Saatgut ergriffen und mit dem Tritt auf den rechten Fuß mit geöffneter flacher Hand ausgestreut. Man spricht auch von Saatwurf. Dabei sind folgende Faktoren wichtig: die Menge je Wurf, die Wurfbreite und die Schrittlänge des Sämanns“. Der Text steht neben einer Grafik, die einen Sämann darstellt, dazu ist auch ein Saatgutsäckchen ausgehängt.

Auch in Redewendungen ist das Säen in vielen Kulturen und Sprachen verankert: Zum Beispiel in „die Spreu  vom Weizen trennen“, also zwischen Gut und Böse differenzieren. Das Sortierbrett wurde noch Mitte des 20. Jahrhunderts mancherorts eingesetzt, um „die guten Körner ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen“ auszulesen.

Biobauernhof gegen Monsanto

Eine Reihe von Plakaten ist Persönlichkeiten gewidmet, die sich um die Schaffung neuer Sorten, bemüht haben - etwa dem als Vater der Genetik gefeierten Gregor Johann Mendel, der die Mendelschen Regeln der Vererbung entdeckte: Mittels Fotografien und Lebenslauf erfahren wir über den katholischen Ordenspriester, der Mitte des 19. Jahrhunderts im Garten des Klosters St. Thomas in Alt Brünn erste Kreunzungsexperimente an Erbsen vornahm. Dass ausgerechnet ein Priester die Büchse der Pandora zur Erschaffung neuer Wesen öffnete, mutet wie eine Ironie des Schicksals an...  
Immer mehr musste die Forschung eingreifen, um den Hunger einer wachsenden Menschheit zu stillen. Die Zahlen im Brotmuseum sprechen für sich: Der durchschnittliche Getreideertrag pro Quadratmeter betrug um das Jahr 1800 etwa 100 Gramm, 2013 beträgt er schon 750 Gramm. Das konnte nur durch Auslese, Kreuzung, Bewässerung, Einsatz von Chemie und – aktueller – durch moderne Gentechnik ermöglicht werden.

Für Gentechnik steht heute fast synonym der Konzern Monsanto, ein Global Player, der für die Reduzierung der Artenvielfalt, das Einführen gentechnisch modifizierter Arten, das Aussterben der Bienen verteufelt wird. In großen Werbeplakaten – einige im Museum ausgestellt – versucht der Gigant sein zerfetztes Image aufzubessern: „Monsanto: Mythen und Fakten“ steht mit großen Lettern geschrieben. Auch der Gegentrend - Biobauern - findet Darstellung. Eine Meinung muss sich letztlich jeder selbst bilden.

Gegen den Hunger – für die Vielfalt

Nicht zuletzt geht es dem Ulmer Brotmuseum um Aufklärung: Die Geburtsstunde der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO, am 16. 10. 1945 gegründet, brachte auch den Welternährungstag am 16. Oktober mit sich. Der Kampf gegen den Hunger, aber auch um die Erhaltung der biologischen Vielfalt, sind weltweit Gesprächsthemen geworden. Hier erfährt man auch, dass es weltweit Saatgutbanken gibt, die außergewöhnlichste davon wohl auf Spitzbergen in Svalbard: 2008 wurde etwa 1000 Kilometer vom Nordpol entfernt ein internationaler Saatgut-Tresor errichtet – eine unterirdische Kühllagerstätte, die Naturkatastrophen und Gefahren durch den Menschen standhalten soll, inklusive einer nuklearen Katastrophe. 700.000 Muster aus aller Welt sind zurzeit dort gelagert. Jedes Muster enthält 500 Samen. Als wolle man sich bereits auf die Apokalypse vorbereiten...