Temeswarer Nestlé-Süßwarenfabrik vor dem Aus

Knapp 400 Mitarbeiter betroffen / Kein Drama für Bürgermeister Robu

Temeswar (ADZ) - Der weltgrößte Nahrungsmittelkonzern Nestlé wird bis Mitte 2019 die Anfang der 2000er Jahre erworbene Temeswarer Süßwarenfabrik schließen und knapp 400 Mitarbeiter entlassen. Dies teilte der Schweizer Konzern Ende voriger Woche mit, in Temeswar entbrannte daraufhin eine heiße Debatte um ausländische Investitionen, in den sozialen Medien forderten zahlreiche Bürger die Einschaltung der Behörden, vor allem des Bürgermeisters und des Arbeitsamtes. Insidern zufolge soll die auf 10.000 Tonnen geschätzte Temeswarer Waffelproduktion nach Ungarn ausgelagert und von einer dortigen Nestlé-Tochter übernommen werden. Temeswarer Nestlé-Waffeln wurden vor allem in Rumänien verkauft, aber auch nach Ungarn sowie in die Staaten des ehemaligen Jugoslawiens exportiert.

Der Leiter der Nestlé-Rumänien-Niederlassung, Leszek Wacirz, sagte, dass der Konzern diese Entscheidung lange überprüft habe. Das Unternehmen müsse sich jedoch an die wechselnden Bedingungen eines dynamischen Marktes anpassen und sich auf die Änderung der Konsumgewohnheiten vorbereiten. Hinzu komme der Arbeitskräftemangel, sagte Wacirz in der offiziellen Mitteilung des Konzerns. Man wolle sich nun auf die Unterstützung der zu entlassenden Mitarbeiter konzentrieren und diesen bei der Suche nach anderen Arbeitsplätzen behilflich sein. Nestlé wolle nicht nur Abfindungen zahlen, sondern den Angestellten mit Umschulungen und Arbeitsplatzbörsen bei der Suche nach neuen Jobs direkt unter die Arme greifen. Die 30 Mitarbeiter des Temeswarer Nestlé-Kostenkompetenzzentrums sollen ihre Arbeitsplätze behalten, genauso wie die Bukarester Angestellten der Nestlé-Rumänien-Zentrale, die sich hauptsächlich mit der Vermarktung der Nestlé-Produkte in Rumänien beschäftigen.

Vor fast 20 Jahren hatte der Schweizer Riese von dem Temeswarer Geschäftsmann Florentin Banu dessen mit Unterstützung eines österreichischen Unternehmers aufgebaute Fabrik zur Herstellung von Waffelschnitten übernommen und ausgebaut. Das Nestlé-Werk liegt im südwestlichen Stadtteil Freidorf, auf dem Gelände der ehemaligen Zuckerfabrik, deren Privatisierung gescheitert war.

Bürgermeister Nicolae Robu sagte, dass er die konkreten Gründe für die Werkschließung nicht kenne, jedoch davon ausgehe, dass die Folgen für den lokalen Arbeitsmarkt überschaubar bleiben werden. In Temeswar herrsche akuter Arbeitskräftemangel, er sei sicher, dass alle Nestlé-Mitarbeiter einen Arbeitsplatz finden können. Ihm tue die Entscheidung des Großkonzerns leid und er könne die Lage der Betroffenen nachvollziehen, doch wolle er diese ermutigen. Entlassungen gehören zu einer Marktwirtschaft, man müsse damit leben und weitermachen, glücklicherweise seien in Temeswar genug freie Arbeitsplätze vorhanden, sodass die Schließung einer Fabrik kein Drama sei, so Bürgermeister Robu.

Da Nestlé das Temescher Arbeitsamt von der bevorstehenden Massenentlassung noch nicht benachrichtigt hatte, verfügte Arbeitsamtsleiter Pavel Kassai eine Kontrolle vor Ort. Konzernvertreter versicherten, dass Nestlé allen seinen Verpflichtungen aus den Tarifvereinbarungen mit den Arbeitnehmern nachkomme, sagte Kassai.
Durch die Schließung der Nestlé-Fabrik verschwindet in Temeswar die traditionsreiche Süßwarenproduktion, die mit der Gründung der Kandia-Schokoladenfabrik Ende des 19. Jahrhunderts begann. Überhaupt gibt es in der Stadt mit Ausnahme der Smithfield-Niederlassung (dem ehemaligen Comtim-Kombinat für Schweinezucht), dem Fleischwarenhersteller Agil sowie einiger größerer Bäckereien (Prospero, Fropin, Senneville) keine nennenswerte Lebensmittelproduktion mehr.

Die Nestlé-Gruppe erwirtschaftete 2017 einen Gesamtumsatz von knapp 91 Milliarden Dollar und einen Gewinn von 8,7 Milliarden Dollar. Mit einer Marktkapitalisierung von 300 Milliarden Dollar und etwa 323.000 Beschäftigten weltweit war Nestlé 2017 das wertvollste Unternehmen der Schweiz. Es stand mehrmals in der Kritik für den Einsatz von Kinderarbeit im Kakaoanbau, die Rodung von Regenwäldern, die fragwürdige Erwerbung von Wasserrechten in Ländern der Dritten Welt und den laxen Umgang mit der Lebensmittelsicherheit, zum Beispiel in Indien oder Kolumbien.