„Als Journalist zu arbeiten, das muss man sich wünschen“

Interview mit Rohtraut Wittstock, ehemalige Chefredakteurin der ADZ

Fast 50 Jahre ihres Lebens hat Rohtraut Wittstock dem Journalismus gewidmet. Zuerst als Rundfunk-Redakteurin, danach als Kulturredakteurin beim „Neuen Weg“, als Leiterin der Kulturabteilung und anschließend als stellvertretende Chefredakteurin der „Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien“. 2008 übernahm sie die Führung der ADZ und rettete somit die einzige deutschsprachige Tageszeitung Südosteuropas, ein wichtiger Bewahrer der deutschen Identität in Rumänien. Für ihre unermüdliche Tätigkeit und ihr Engagement wurde ihr 2022 der Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland, die höchste Auszeichnung des Landes, verliehen. Im selben Jahr wurde sie mit dem Silbernen Ehrenzeichen für die Verdienste um die Republik Österreich gewürdigt. Auch heute noch ist Rohtraut Wittstock der Publikation treu, liest sie in ihrer sonnigen Wohnung auf dem Schulerauweg in Kronstadt/Brașov, wo sie seit 2021 lebt. Über ihre Zeit bei der Zeitung und ihr Leben heute sprach sie mit den ADZ-Redakteurinnen Elise Wilk und Laura Căpățână-Juller.

Frau Wittstock, Sie wohnen seit ihrer Pensionierung wieder in ihrer Heimatstadt Kronstadt. Fehlt Ihnen das rege kulturelle Leben von Bukarest?

Ich habe von 1969 bis 2021 in Bukarest gelebt und es hat mir sehr, sehr gut gefallen.

Ich habe wirklich sehr viel teilgenommen an diesem schönen kulturellen Leben und fahre auch gerne ab und zu hin. Aber in Kronstadt ist es auch nicht so, dass das kulturelle Leben total wegfällt. Es gibt immer wieder interessante Angebote. Und ich freue mich an der Natur, an meinem Garten, an jedem Röslein, das blüht.

Wie sind Sie zum Journalismus gekommen? War das ein Wunsch oder eher ein Zufall?

Mit dem Journalismus war es eher ein Zufall. Ich bin in einer Familie aufgewachsen, in der man sehr viel über Literatur und über das literarische Leben gesprochen hat. Man hatte die ganze Zeit Bücher um sich. Dann habe ich Germanistik studiert und gedacht, ich werde Lehrerin, wie so viele andere auch. Aber wie es nach dem Studium dann zur Zuteilung kam, hat es sich ergeben, dass eine Stelle beim Rundfunk frei war. So bin ich zur deutschen Sendung des rumänischen Rundfunks gekommen, wo ich vier Jahre lang gearbeitet habe.

Das war letztendlich nicht befriedigend für mich – damals war eine Sendung, wenn sie aus war, wirklich aus, also weg. Es gab ja keine Podcasts, wie heute, wo man sich alles wieder anhören kann. Dann dachte ich mir, dass es bei der Zeitung anders ist – was gedruckt ist, das bleibt. Und dann wurde ich eingeladen, zum „Neuen Weg” zu wechseln, in den Print-Journalismus. Es war Oktober 1976, als ich in die Redaktion kam. Chefredakteur war damals Ernst Breitenstein.

Wie war es damals bei der Zeitung?

In ihren Anfängen, Ende der 40er Jahre, hatte die Zeitung gekämpft, überhaupt von den Deutschen aus Rumänien angenommen zu werden. Es hat sich damals nicht jeder Deutsche gefreut über diese Zeitung. Aber die Zeitung hat sich bemüht, stets auf die Problematik der deutschen Minderheit einzugehen und den Lesern lesbaren Stoff zu bieten. Abgesehen vom politischen Stoff, ohne den es ja nicht ging, der ein Zwang war.

Es gab damals in der Redaktion sehr, sehr gute Journalisten. Die auch wussten, was zu machen ist und wie es zu machen ist. Als ich in die Redaktion kam, arbeiteten ungefähr 60 Leute dort. Und es waren früher noch sehr viel mehr gewesen. Natürlich hatten wir auch Korrespondenten in mehreren Ortschaften. Es waren Journalisten, von denen man als Anfänger viel lernen konnte, Menschen mit sehr offenem Geist. Und in der Redaktion herrschte eine sehr angenehme Stimmung. Natürlich musste man damals vorsichtig sein, wie überall. Aber man musste nicht dauernd in Angst leben. Und Ernst Breitenstein, der zu den Gründern der Zeitung gehört, war echt bemüht, den Deutschen hier in jeder Art und Weise zu helfen. Ich selbst war im Kulturressort tätig, das hatte ich auch während meiner Radio-Zeit gemacht. Emmerich Reichrath war mein direkter Chef.

Wurden Ihre Artikel ab und zu geändert oder kam es auch vor, dass sie überhaupt nicht gedruckt wurden?

Es gab manchmal Bemerkungen zum einen oder anderen Beitrag. Doch es ist nie vorgekommen, dass ein ganzer Artikel nicht veröffentlicht wurde. Manchmal habe ich auch darauf bestanden, nichts zu ändern. Trotz Zensur konnte man reden.

Das Ziel war, die Zeitung für den Leser zu gestalten. Es mussten ja diese endlosen Reden abgedruckt werden, und dann hat man sich überlegt: Was bietet man außerdem dem Leser? Und man hat immer versucht, so viel wie möglich, die Zeitung trotzdem lesbar zu machen.

Wenn wir an Presse während des Kommunismus denken, haben wir immer diese Szene aus dem Film „Amintiri din Epoca de Aur” vor Augen. Es ist die Szene, wo man ein Bild in der Zeitung gefälscht hat. Und dann kommt es in die Zeitung und Ceaușescu trägt auf dem Bild zwei Kappen –  eine auf dem Kopf und die andere in der Hand. Die eine hat man aus Versehen nicht gelöscht. Gab es solche Vorfälle auch in der ADZ-Redaktion?

Es gab Vorfälle. Es gibt ja diese Anekdote aus den 50er Jahren, als Stalin noch gelebt hat, als auf der ersten Seite ein Riesentitel erschienen ist: „Stalin, der größte Henker der Welt”. Eigentlich sollte es heißen: „Stalin, der größte Lenker der Welt“. Jemand hat es rechtzeitig bemerkt und man konnte die Zeitungen vom Bahnhof zurückholen, sodass sie nicht vertrieben wurden.

Haben Sie sich nach der Wende Sorgen gemacht, was mit der Zeitung passiert, als so viele Redakteure und Leser ausgewandert sind?

Wir haben damals zum Scânteia-Verlag gehört, wie andere vier große Tageszeitungen. Eine Zeit lang erschienen wir noch mit dem Titel „Neuer Weg”. Nach einiger Zeit war es aber klar, dass man eine neue Struktur aufbauen musste. Es wurde der Minderheitenrat gebildet. Und dann wurden die Minderheitenzeitungen über diesen Minderheitenrat subventioniert, zunächst einmal. Später kam die Subvention über das Deutsche Forum. Ja, viele Redakteure sind weg, auch viele Leser sind ausgewandert. Man konnte trotzdem weitermachen. Ab 5. Januar 1993 erschien die „Allgemeine Deutsche Zeitung für Rumänien“.

Haben Sie selbst nicht daran gedacht, auszuwandern?

Es war nie wirklich mein Wunsch. Ich hatte damals den Beruf, meine Familie. Die vielen Geschwister, die Mutter, Cousins, die Tanten und Onkel. Die meisten waren da. Es hat mich natürlich auch beängstigt, wie da so viele plötzlich gegangen sind. Und man hat sich gefragt, ob das jetzt unbedingt sein muss. In meinem Kreis waren wir viel zu stark emotional und geistig in dieser Welt verankert. Unsere Wurzeln waren uns wichtig.

Mit wie vielen Redakteuren ging es nach der Wende weiter?

In der Bukarester Redaktion arbeiteten 30 Leute. Das waren nicht nur Redakteure, sondern auch Angestellte aus der Verwaltung. Es war ungefähr das heutige Schema – auch heute arbeiten etwa 30 Leute bei der Zeitung, aber landesweit. Man findet immer wieder neue Angestellte und das ist das Schöne daran.

Was glauben Sie, motiviert die Leute, bei der ADZ zu arbeiten?

Es sind immer Leute, die genau das machen wollen, und nicht etwas anderes. Es gibt immer die Möglichkeit, parallel zur Zeitung auch noch etwas anderes zu machen – ich zum Beispiel konnte mich, als die Gehälter sehr klein waren, mit Übersetzungen über Wasser halten. Für mich wäre das nicht in Frage gekommen, dass ich zum Beispiel in einem Chemiewerk arbeite. Geld ist nicht das Wichtigste im Leben. Als Journalist zu arbeiten – das muss man sich wünschen.  

2008 sind sie dann Chefredakteurin geworden.

Das war das Jahr, wo die Krise bei der ADZ war. Es gab diesen Vorschlag, sie in eine Wochenzeitung zu verwandeln, mit ganz anderen Themen und mit Übersetzungen von Artikeln aus der rumänischen Presse. Die Redaktionsarbeit sollte in Temeswar gemacht werden. Einige Monate sollte gar keine Zeitung erscheinen. Alle Leute aus der Redaktion waren schon gegangen, denn die meisten Redakteure hatten eine kürzere Kündigungsfrist als ich. Zwei Tage, bevor meine Kündigungsfrist ablief, fand in Hermannstadt, bei der Evangelischen Akademie in Neppendorf, eine Diskussionsrunde zur Situation der ADZ statt. Mit einer einzigen Ausnahme wollten alle, dass die Zeitung erhalten bleibt. Paul-Jürgen Porr hatte dort ein wichtiges Wort zu sagen, er ist am nächsten Tag zum damaligen Vorsitzenden des Forums, Klaus Johannis, gegangen, und hat ihn davon überzeugt, diese Zeitung zu erhalten. Die Redaktion hatte auch sehr viele Leserbriefe bekommen, die den Fortbestand der Zeitung verlangten. Aus Kronstadt kamen sehr viele und auch aus den anderen Städten und dem Ausland, viele wurden auch abgedruckt. Dann hat der Verwaltungsrat der Zeitung beschlossen, dass sie weiter erscheinen soll und sämtliche Redakteure wieder angestellt werden. Klaus Johannis hat mich angerufen und gebeten, die Zeitung weiterzumachen. Kein Tag sollte ausfallen, „auch wenn nur eine einzige Seite erscheint“. Ich habe geantwortet: „Wenn wir eine Seite machen können, dann können wir die ganze Zeitung machen.” Es ging darum, dass die Redakteurinnen und Redakteure am nächsten Tag wieder antreten, obwohl sie in dem Moment bei der Zeitung gar nicht mehr angestellt waren. Auf eine eilig geschriebene Rundmail sind sie dann auch wirklich wieder in die Redaktion gekommen.

Hat es sich gelohnt weiterzumachen?

Oh ja, natürlich. Das Team wurde immer besser, es kamen gute, motivierte Leute dazu. Das war eine Freude. Ich habe dann noch weiter gearbeitet, obwohl ich längst rentenberechtigt war. Als ich 70 Jahre überschritten hatte, kam 2020 mein Entschluss, in Rente zu gehen. Dieser fiel mir in dem Moment ziemlich leicht, weil ich wusste, es gibt ein Team, das weiterarbeiten kann.

Lesen Sie die Zeitung noch regelmäßig?

Natürlich, jeden Tag. Das Wichtigste in der Zeitung sind weiterhin die Nachrichten. Die Zeitung hat die Aufgabe, mich zu informieren, und ich finde es gut, dass die Programmseite wieder erscheint, sie gibt eine Übersicht über die anstehenden Veranstaltungen. Auch die Analysen und Reportagen finde ich gut.

Und wie sehen Sie die Zukunft der Zeitung? Es gibt ja das große Problem, dass die Jugend keine Presse mehr liest. Nachwuchs-Redakteure und junge Leserschaft – diese zu gewinnen ist, finden wir, die größte Herausforderung heute.

Projekte, wo man mit Schülern und Studenten an der Zeitung arbeitet, sind sehr wichtig. Und man sollte auf Jugendliche, die an der Deutsch-Olympiade teilnehmen, achten, die also mit dem Schreiben beschäftigt sind. Man sollte immer versuchen, etwas gemeinsam mit ihnen zu machen. Und man braucht auch die Leser. Auf die Druckausgabe sollte man auf keinen Fall verzichten. Auch die PDF-Ausgabe ist wichtig, weil viele Abonnenten die Zeitung nicht wirklich pünktlich bekommen, und es ist gut, wenn man die ADZ am Vortag des Erscheinens einmal kurz durchsehen kann. Aber eine gedruckte Zeitung in Ruhe zu lesen, ist ein viel größeres Vergnügen.

Zum Abschluss meiner Ausführungen will ich der ganzen ADZ-Belegschaft zum Zeitungsjubiläum ganz herzlich gratulieren. Mein Glückwunsch gilt allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Redaktion, die Tag für Tag die ADZ erstellen und darauf achten, dass die Leserschaft ein informatives, vielseitiges und qualitätvolles Blatt in die Hand bekommt. Hinter jeder Zeitungsausgabe, hinter jedem Beitrag steht die mühevolle, oft unter Druck ausgeführte Arbeit der einzelnen Redaktionsmitglieder. Ihnen allen wünsche ich für die Zukunft, dass sie ihre Schaffensfreude und ihr Engagement bewahren und der Leserschaft weiterhin ein lesenswertes Medium in die Hand geben.

Vielen Dank für das Gespräch!