Journalismus in Krisenzeiten

Arbeitsbedingungen für Medienschaffende in 70 Prozent aller Länder problematisch

Die Corona-Krise, der Überfall auf die Ukraine, der Krieg im Nahen Osten. Konflikte im Innen und im Außen erschüttern Gesellschaften in Europa und in der ganzen Welt. Krisenherde und innenpolitische Instabilität führen dazu, dass sich Journalistinnen und Journalisten weltweit zunehmendem Druck und Attacken ausgesetzt sehen. Überall, wo Krisen „fröhliche Urständ“ feiern, ist immer auch die Pressefreiheit in Gefahr. Wie steht es heute um die Pressefreiheit in Europa und in der Welt? Und: Was wird getan, um die Lage der Presseberichterstattung zu verbessern?

Am 3. Mai, dem Internationalen Tag der Pressefreiheit, veröffentlicht Reporter ohne Grenzen (ROG) jedes Jahr die Rangliste der Pressefreiheit. Im Jahr 2023 berichtete die Institution, die Lage habe sich laut Bericht seit 2022 signifikant destabilisiert; sie sei „so instabil wie schon lange nicht“. Zurückzuführen sei dies auf „Krisen und Kriege und die Ausbreitung von Autoritarismus“. Die zunehmende Unterdrückung der Pressefreiheit in Russland infolge des Angriffs auf die Ukraine und vermehrte Festnahmen, beispiels-weise in der Türkei, tragen zu diesem Trend bei.

Zudem nehme die Gewalt gegen Journalistinnen und Journalisten weltweit zu. Die Rangliste unterscheidet fünf Niveaus: In 31 Ländern wird die Lage der Pressefreiheit als „sehr ernst“ eingestuft, darunter Länder wie Vietnam, China und Nordkorea, die die letzten drei Plätze von insgesamt 180 Ländern belegen. In einer „schwierigen Lage“ befinden sich 42 Länder; 55 weisen „erkennbare Probleme“ auf. In 52 Ländern wird die Situation als „gut“ oder „zufriedenstellend“ bewertet. Tadschikistan, Indien und die Türkei verloren den Status „schwierige Lage“ und stiegen in die Kategorie „sehr ernst“ ab.

Die Sicherheit von Journalistinnen und Journalisten ist nach wie vor ein großes Problem: Sie werden ermordet, festgenommen, verbüßen langjährige Haftstrafen, verschwinden, oder werden im Kontext von Demonstrationen attackiert. Die gefährlichsten Länder in Bezug auf die Sicherheit sind der Iran, Vietnam, China und Nordkorea. Der Bericht kommt insgesamt zu dem Ergebnis, dass die Arbeitsbedingungen für Medienschaffende in 70 Prozent aller Länder problematisch sind. 

Auch das Superwahljahr 2024, in dem weltweit rund 4,1 Milliarden Menschen zur Wahl aufgerufen sind, wird sehr wahrscheinlich wieder zahlreiche Übergriffe auf Journalisten mit sich bringen: „Wir beobachten, dass es rund um Wahlen oder auch im Vorfeld von Wahlen zu einer steigenden Zahl von Übergriffen auf die Medien kommt. Mit Blick auf Russland, wo im März Wahlen stattfinden, dass mehr Übergriffe und Verhaftungen stattfinden. Im Kontext der Wahlen in Pakistan haben wir das erlebt und derzeit im Iran. Das kann man auch daran beobachten, dass unsere Nothilfe-Abteilung rund um hochrangige Wahlen mehr zu tun hat“, sagt Christopher Resch von Reporter ohne Grenzen.

Die Jahresbilanz 2023 von ROG wiederum führt 54 Journalistinnen und Journalisten als entführt, 84 als verschwunden auf; 45 wurden getötet. 521 saßen zu diesem Zeitpunkt im Gefängnis. Die Zahl der getöteten Journalisten ist damit im Vergleich zu den Vorjahren gesunken – dies bedeutet allerdings nicht, dass sich die Lage insgesamt verbessert hat. Allein im Nahen Osten kamen mindestens 17 Journalistinnen und Journalisten ums Leben. Die Anzahl derjenigen, die in Krisen- und Kriegsgebieten Bericht erstatteten und dabei ums Leben kamen, ist zudem deutlich höher als zuvor.

Eine Rolle spielt weltweit das Problem der Straflosigkeit – Morde an Journalistinnen und Journalisten bleiben bleiben überwiegend unaufgeklärt, was es in manchen Ländern einfacher macht, einen Journalisten zu töten als einen Prozess gegen ihn anzustrengen. So liegt die Straflosigkeitsquote in Mexiko bei 100 Prozent.

In Echtzeit zählt das Barometer von Reporter ohne Grenzen die Tötungen von Journalistinnen und Journalisten weltweit. Der Stand vom 1. März 2024 zeigt an, dass 6 Journalisten getötet wurden, im laufenden Jahr noch keine Medienmitarbeiter zu Tode gekommen sind. Derzeit befinden sich 503 Journalisten und 18 Medienmitarbeiter weltweit in Haft. Das Barometer veranschaulicht auf zugleich nüchterne wie erschreckende Weise, dass Journalistinnen und Journalisten immer wieder zur Zielscheibe werden.

Europa – Sichere Hochburg für den Journalismus?

Europa bleibt die Region der Welt, in der es weiterhin am sichersten ist, frei zu berichten. In der Rangliste 2023 von ROG belegen Norwegen, Irland und Dänemark die ersten Plätze. Die letzten Plätze der Mitgliedsstaaten der EU sind Ungarn, Malta und Griechenland. „Im globalen Vergleich können Journalistinnen und Journalisten in Europa gut arbeiten, aber die EU muss aufpassen, dass die Pressefreiheit nicht erodiert, denn die Gefahrenzeichen gibt es“, so Pressereferent Christopher Resch. Denn auch von langjährigen EU-Mitgliedern werde der Grundwert der Pressefreiheit angegriffen.

Auch der „Straflosigkeitsindex“ des Komitees zum Schutz von Journalisten (CPJ) kommt zu dem Ergebnis, dass die Pressefreiheit in der EU immer weiter unter Druck gerät. Auch in Europa werden Journalistinnen und Journalisten ermordet – die Straflosigkeit ist auch hier ein Problem: Die maltesische Investigativ-Journalistin Daphne Caruana Galizia wurde 2017 mit einer Autobombe getötet; der slowakische Journalist Ján Kuciak und seine Verlobte im Februar 2018. Der griechische Rundfunksprecher Socrates Giolias wurde 2010 ermordet; der niederländische Reporter Peter R. de Vries wurde 2021 erschossen. Alle vier Fälle wurden bisher nicht vollständig aufgeklärt.

Die insgesamt positivere Lage in Europa wird durch den Krieg in der Ukraine verschlechtert. Laut European Center for Press and Media Freedom (ECPMF) in Leipzig, das seit 2015 die Presse- und Medienfreiheit in Europa dokumentiert, starben allein in den ersten 10 Monaten des Ukraine-Kriegs neun Journalisten; viele weitere wurden verletzt oder angegriffen. Für Europa verzeichnet das Institut einen deutlichen Anstieg aller Verstöße gegen die Pressefreiheit; die Zahl ist seit 2019 jedes Jahr angestiegen: Gab es im Jahr 2022 noch 872 Verstöße, lag die Zahl für 2023 bereits bei 1131.

Deutschland fiel auf der Rangliste der Pressefreiheit 2023 von ROG von Platz 16 auf 21. Zurückzuführen ist dies vor allem auf die Tatsache, dass sich andere Länder stark verbessert haben. Die Entwicklung steht allerdings auch im Zusammenhang mit dem Anstieg der Übergriffe auf Journalisten, die im Kontext von Demonstrationen stattfinden. Reporter ohne Grenzen verzeichnet 103 physische Angriffe, was zugleich einen Höchststand seit Beginn der Messungen im Jahr 2015 darstellt. In 84,5 Prozent der Fälle handelte es sich um einen verschwörungsideologischen oder rechtsextremen Kontext. Auch das ECPMF kommt zu dem Ergebnis, dass die meisten Angriffe im Kontext von Demonstrationen stattfinden. Die „Feindbild-Studie“, die das Institut für Deutschland durchführt, hebt hervor, dass besonders Lokaljournalisten bedroht seien.

Durch die bundesdeutsche Presse ging in den ersten beiden Monaten des laufenden Jahres vor allen Dingen ein Angriff auf zwei Journalisten aus Leipzig, die nach einer Solidaritätsaktion für Palästinenser geschlagen wurden. Allein für Januar prüft ROG neun Hinweise auf Übergriffe auf die Presse.

Rumänien besetzt im Jahr 2023 Platz 53 von 180 auf der der Rangliste und fällt damit in die dritte Kategorie von fünf, „erkennbare Probleme“. Betrachtet man nur die Kategorie „Sicherheit“, befindet sich Deutschland mit der Zuschreibung „erkennbare Probleme“ hinter Rumänien, das derzeit auf der Stufe „zufriedenstellende Lage“ eingestuft wird. In allen anderen vier Kategorien erreicht Deutschland die höhere Punktzahl. In Rumänien wird vor allem die mangelnde Transparenz der Medienfinanzierung moniert. Die Anwendung der Gesetze zum Schutz der Pressefreiheit sei unzureichend; so gebe es Einmischungen vonseiten der Staatsanwaltschaft in journalistische Arbeit und zunehmend ungerechtfertigte Klagen (SLAPP’s) gegen Journalisten. Auch in Rumänien seien sie häufig Angriffen ausgesetzt; es gebe Hetzkampagnen, die teilweise aus den Reihen der Politik unterstützt würden.

Besserung in Sicht?

In jüngster Zeit wurden zwei neue Richtlinien auf den Weg gebracht, die die Situation für Journalistinnen und Journalisten innerhalb der europäischen Mitgliedsstaaten verbessern helfen sollen: Die „EU-Anti-SLAPP-Richtlinie“ soll Journalistinnen und Journalisten, aber auch Menschenrechtsaktivistinnen und -aktivisten sowie Organisationen der Zivilgesellschaft vor ungerechtfertigten Klagen schützen. „SLAPP“ ist die Abkürzung für „Strategic Lawsuit against Public Participation“, also „strategische Klagen gegen öffentliche Beteiligung“; ein Missbrauch von Klagen, die dazu führen sollen, dass Journalisten oder Redaktionen in langjährige kostspielige Prozesse verwickelt und unter Druck gesetzt werden. Der „European Media Freedom Act“ (EMFA) soll den journalistischen Bereich vor politischer Einflussnahme schützen. Laut Reporter ohne Grenzen sind die Richtlinien „zwei sehr gute Entwicklungen“. Sie müssen schlussendlich aber auf nationaler Ebene umgesetzt werden – dafür tragen die jeweiligen Länder die Verantwortung. Erste Schritte sind also getan – zumindest in Europa.