Randbemerkungen: Siegt die Ukraine doch (noch)?

Seit Putins Wiederwahl haben sich die Angriffswellen der russischen Invasoren intensiviert. Und die Hilfsappelle Volodymyr Oleksandrovy Zelenskyjs werden dramatischer. Das US-Hilfspaket dürfte die Ukraine aufpäppeln. Putins Diktatur ist konsolidiert und der Kurs Russlands weg von Europa eindeutig unumkehrbar. Das „Dritte Rom“ hat „Ur-Rom“ den Rücken zugekehrt.

Mit der – in einer Diktatur per Fingerzeig bewerkstelligbaren - Umstellung der Wirtschaft auf Kriegsproduktion und beim Ausrüstungs- und Munitionsmangel der in die Defensive gedrängten Ukraine liegen die Verluste Russlands an Kriegsgerät wohl deutlich unter den ukrainischen Angaben (meinen auch die britischen und US-Geheimdienste). Andererseits mehren sich die Stimmen, die direkt oder indirekt von einer militärischen „Unhaltbarkeit“ der Ukraine sprechen, auch angesichts des langfristigen Verweigerns militärischer US-Hilfen sowie der resteuropäischen Unfähig- oder Unwilligkeit, der Ukraine - mindestens mit der Effizienz Deutschlands – militärisch unter die Arme zu greifen.

In diesen Chor der Pessimisten platzte jüngst ausgerechnet eine Stimme, die aus China kommt – von wo man sie so am allerwenigsten erwartet hätte. Dass der Ukraine-Krieg für beide Seiten nicht nur extrem verlustreich, sondern auch mit weitreichenden Folgen ist, darüber sind sich alle Kommentatoren einig. Am schlimmsten für die Ukraine – und damit für ganz Europa: „binnen fünf Jahren könnten die Russen angriffsbereit an Europas Ostgrenzen stehen“, orakeln bereits höchste US-Militärs bei der NATO. In dieses Szenario platzt ausgerechnet ein Chinese, der Prodekan des Instituts für Internationale Studien der Universität Peking, Feng Yuyun, mit einem Gastbeitrag im „The Economist“.

Der Wissenschaftler aus dem Land der „Kunst des Krieges“ spricht vier Faktoren an, aufgrund derer er der Ukraine einen Sieg gegen Russland voraussagt. (Der Besitz von Atomwaffen sei kein Siegesgarant, wegen einer transnationalen Hemmschwelle für deren Einsatz.) Erstens weise die Ukraine einen „bis jetzt außergewöhnlichen“ Widerstand und einen engen „nationalen Zusammenhalt“ auf. Zweitens sei die internationale Unterstützung für die Ukraine entscheidend. Sie liege zwar immer noch unter den Erwartungen der Ukraine, sei aber „breit gefächert“ und nicht nur militärisch. sondern falle auch massenpsychologisch (siehe Punkt 1) ins Gewicht. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung Fengs hatten nur die USA Hilfen zurückgefahren… Faktor drei sei die moderne, der russischen überlegene Kriegs-Führung, die die Ukraine praktiziere. Russland könne damit, bei aller Überlegenheit materieller Ressourcen, nicht recht mithalten. Aufgerüstetes Kriegsgerät aus Sowjet-Zeiten, das die Russen immer noch einsetzen, sei der (mit westlichen Waffensystemen hochgerüsteten) ukrainischen Militärtechnik glatt unterlegen. Russland habe die „dramatische De-Industrialisierung“ der Post-Sowjetzeit noch nicht hinter sich. Nicht zuletzt, und viertens, habe die Ukraine gegenüber Russland durch US-, englische und französische Unterstützung eine glatte „Informationsüberlegenheit“. Nicht nur bei den spektakulären Militärschlägen gegen die Schwarzmeerflotte, sondern sogar im Luftraum – in der Luftabwehr fehlen nur noch einige effiziente Waffensysteme, um die Informationsüberlegenheit ganz ausnutzen zu können.

Putin hingegen stecke in einem „Informationskokon“ – seinem Vertrautenkreis – und in der Blase mäßig effizienter Geheimdienste fest. Deshalb (inklusive durch das Generalgebaren der Putin´schen Diktatur, sei hinzugefügt, die zum Angstfiltern von Information führt) seien Fehler nur schwer korrigierbar. Die Ukraine verfüge dazu „über eine flexiblere und effektivere Organisierung“ – vor allem bei der Verwertung ihr zugespielter Informationen seitens effizienter, wohleingespielter westlicher Geheimdienste.