Zwei Jahre gegen das absolute Böse

Temeswar steht weiterhin zur Ukraine

Die Installation „Taken Away“ bringt den Schmerz von Flüchtlingskindern zum Ausdruck, die das Trauma von Tod, Entwurzelung und Vertreibung in einem fremden Land als Folge eines Krieges erlebt haben.

In einem Rundtischgespräch wurden aktuelle Themen in Bezug zum Ukraine-Krieg diskutiert.

Ein Schweigemarsch für die Ukraine wurde in Temeswar zwei Jahre nach dem russischen Angriff am 24. Februar 2022 organisiert. Fotos: LOGS-Gruppe

Bomben fallen; Trümmer, Schutt und Asche; Menschen mit Kleinkindern in den Armen fliehen vor dem großen, absoluten Bösen – dem Krieg – mit einem einzigen Ziel: am Leben zu bleiben! Andere bleiben zurück, sie leisten Rettungsarbeit oder ziehen als Soldaten in den Krieg. Wie Szenen aus einem dramatischen Film wirken diese Bilder. Doch seit genau zwei Jahren ist dies die Realität im Land an der Grenze zu Rumänien. Die Ukrainer begehen im Februar dieses Jahres nicht nur zwei Jahre seit dem russischen Überfall auf die Ukraine, sondern auch zehn Jahre seit einem der blutigsten Tage auf dem Maidan, dem Unabhängigkeitsplatz der ukrainischen Hauptstadt. 

Grund für den Krieg: Nach Angaben von Wladimir Putin – um das Land, angeblich ein Teil von Russland, von Nazis zu befreien und die Erweiterung der NATO weiter nach Osten zu verhindern. Die russische Invasion in der   Ukraine wird in vielen Ländern der Welt offiziell als Völkermord an der ukrainischen Bevölkerung anerkannt. Mindestens 10.378 Todesopfer hat der Russland-Ukraine Krieg laut Zählungen des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte (OHCHR) bis zum 31. Januar 2024 in der ukrainischen Zivilbevölkerung gefordert, darunter mindestens 579 Kinder. Zudem wurden infolge des Ukraine-Krieges bisher mindestens 19.632 verletzte Zivilisten, darunter 1284 verletzte Kinder, registriert. 

„Derzeit kennt jeder von uns jemanden, der im Krieg gestorben ist oder verletzt wurde“, sagt Evgenia (Jane) Rozbytska, die Vertreterin der ukrainischen Flüchtlingsgemeinschaft in Temeswar/Timișoara. Mitte März wird es für sie genau zwei Jahre her sein, seitdem sie in der Stadt an der Bega zusammen mit ihrem Mann und Kleinkind wohnt. Weitere über 4000 ukrainische Flüchtlinge haben seit 2022 die westrumänische Stadt gewählt, um vor dem Krieg Schutz zu suchen. Etwa tausend ukrainische Bürger, die Rumänien als Zufluchtsland gegen den Krieg auserkoren haben, leben derzeit noch im Raum Temeswar. 400 sind Teil des Unterstützungsprogramms, das von der rumänischen Regierung angeboten wird.

Am 24. Februar 2024 haben sie hier, in ihrem neuen Zuhause, zwei Jahre seit dem Beginn der russischen Invasion in der Ukraine begangen. Ein Storch mit seinen Kleinen in einem Nest in Flammen – die perfekte Metapher für den Krieg: So sah das Plakat für die Eventreihe am vergangenen Wochenende in Temeswar aus, als genau zwei Jahre nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022 markiert wurden. „Der Storch steht für Heimat und dafür, Kinder an einen sicheren Ort zu bringen. Ein Teil unseres Nestes steht in Flammen - ein Teil unseres Herzens ist dort geblieben, aber wir haben unsere Kinder nach Temeswar gebracht, um sie hier sicher aufzuziehen“, sagt Evgenia (Jane) Rozbytska, die Vertreterin der ukrainischen Flüchtlingsgemeinschaft in Temeswar. „Nach zwei Jahren Krieg wollen wir natürlich wieder nach Hause, doch wir wissen nicht mehr, wo unser Zuhause ist“, setzt sie fort. 

„Temeswar für die Ukraine“ hieß die Initiative im März 2022 in der Bega-Stadt. Ein gut organisiertes Unterstützungszentrum für Flüchtlinge vor Ort - ein Modell für weitere solidarische Initiativen landesweit. Nun steht die Stadt weiterhin für die Ukraine ein. „Das ist unser Motto auch nun, nach zwei Jahren Krieg“, sagt Flavius Ilioni-Loga von der LOGS-Gruppe für Sozialinitiativen in Temeswar, als an diesem Tag gleich mehrere Veranstaltungen in die Wege geleitet wurden. 

Ein Rundtischgespräch zum Thema „Nach zwei Jahren - Temeswar steht zur Ukraine“ wird im Multifunktionssaal der Bibliothek der TU „Politehnica“ abgehalten. Fachleute und Behörden setzen sich zum Thema auseinander und geben ihre Antwort auf folgende Fragen und Anliegen: Wie hat der Krieg das Gesicht der Ukraine und Europas verändert? Wie kann der Frieden nach zwei Jahren Krieg wiederhergestellt werden? Desinformation (Fake-News) gilt als eine der größten Herausforderungen, vor denen die Europäische Union derzeit im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine steht. Sollten wir uns vor Informationen in den sozialen Medien über die Ukrainer und den Ukraine-Krieg in Rumänien in Acht nehmen? Die USA und Europa beschuldigen Russland der Desinformation und umgekehrt. Wem sollten wir in einer postmodernen Ära, in der Wahrheit relativ ist, glauben? Wie wird der Krieg in der Ukraine die politische Abstimmung in Rumänien in diesem Jahr und weltweit (Europawahlen und Präsidentschaftswahlen in den USA) beeinflussen? 

Der Temescher Subpräfekt Sorin Ionescu, Silviu Rogobete - Professor an der Fakultät für Politikwissenschaft, Philosophie und Kommunikationswissenschaften an der West-Universität Temeswar; Ileana Rotaru - Professorin an derselben Fakultät; Călin Rus - Leiter des Interkulturellen Instituts in Temeswar (IIT); Alexandr Babich - Professor und bekannter Historiker aus Odessa (Ukraine), der sich auf den Krieg spezialisiert hat; Angela Ciupa-Rad - Leiterin des Resilienz- und Gemeinschaftsmobilisierungsdienstes des Temeswarer Sozialamts; Flavius Ilioni Loga - Geschäftsführer von LOGS und weitere Vertreter der ukrainischen Gemeinschaft äußern sich dazu. 

„Wir müssen unsere unerschütterliche Unterstützung fortsetzen, solange sie nötig ist! Das Licht wird die Dunkelheit besiegen! Das Leben wird den Tod besiegen! sagt Professor Silviu Rogobete. 

Als Fortsetzung dieser Aussage startet vom LOGS-Haus aus ein Schweigemarsch für die Ukraine. Die blau-gelbe Flagge flattert im Wind, sie umhüllt Körper und wird wie ein Statement zum heldenhaften Widerstand des ukrainischen Volkes gegen den barbarischen Angriff auf seine Souveränität und Freiheit getragen. Am Marsch nehmen Mitglieder der ukrainischen Minderheit sowie ukrainische Flüchtlinge in Temeswar und viele weitere Menschen aus der Temeswarer Gemeinschaft teil. Er führt bis zum Opernplatz, wo vor der Temeswarer Nationaloper eine Schweigeminute abgehalten wird, anschließend werden Botschaften zur Unterstützung der Ukraine vermittelt und Kerzen angezündet. Entlang der Strecke werden zwölf der wichtigsten Momente des Krieges markiert. Ein Teil ist die Fotoausstellung „Nach zwei Jahren“ mit Ansichten der zertrümmerten Städte, verletzten Kindern und Frauen. 

Vor der Oper ist auch die Kunstinstallation „Taken Away“ der Künstler Regina Damian und Lucian Sebastian Turcu ausgestellt. Die Figur des Todes umhüllt Spielzeuge von Kindern aus der Ukraine – die Installation weist darauf hin, dass der Krieg den Kleinen die Kindheit weggenommen hat.  

„Ich will nicht sterben“ – sagt ein kleines Mädchen im Dokumentarfilm „20 Days in Mariupol“, der an diesem Abend im Victoria-Kino zum ersten Mal in Temeswar gezeigt wird. Der ukrainische Dokumentarfilm von Mstyslaw Tschernow ist 2023 erschienen. Der Film wurde bereits mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Bei der Oscarverleihung 2024 ist er in der Kategorie Bester Dokumentarfilm nominiert.

Der Film dokumentiert die ersten 20 Tage der russischen Invasion in der ukrainischen Hafenstadt Mariupol, während der ein Associated Press-Team ukrainischer Journalisten in der von russischen Truppen belagerten Stadt festsitzt. Als letztes internationales Reporterteam bemühen sich die Journalisten, die Gräueltaten der russischen Invasion zu dokumentieren und fangen ein, was später zu den prägendsten Bildern des Krieges wird: sterbende Kinder, Massengräber, die Bombardierung einer Entbindungsklinik usw.

Der ungeschönte und einfühlsame Blick auf die Realität des Krieges erschüttert. Für geflüchtete Ukrainer ist dies vielleicht sogar schmerzhafter als für die in der Heimat verbliebenen. „Wir alle tragen jeden Tag diese Schuld mit uns, dass wir dem Bösen entkommen konnten, während andere zurück geblieben und gestorben sind“, sagt Jane Rozbytska. „Ich wünsche allen Menschen auf der Welt, dass sie nie in die Situation gelangen, dass ihr Land im Krieg ist. Und ich wünsche mir von ganzem Herzen, dass die europäischen Länder zusammen mit der Ukraine das überwinden, was derzeit in meinem Heimatland passiert.“